Im Schreiben, das für mich wie Atmen, wie Gehen, wie Schenken ist, drückt sich aus, was ich meine.

Es drückt sich aus darin, wie ich die Augen aufschlage und was mir als Erstes über die Lippen kommt.

Wie ich auf die Toilette gehe, vielleicht sogar freudig, heute, wo ich mir meiner Füße und Beine, gesund und stark, bewusst bin. Und ach, welche Wohltat, überhaupt eine Toilette zu haben! In den vergangenen Tagen las ich das Buch eines niederländischen Juden, der in erster Linie Niederländer war und von seinen Klassenkameraden nicht wusste, ob die jüdisch oder christlich erzogen wurden. Außer bei denjenigen, die am Freitagabend im Winter eher nach Hause gehen mussten, wegen der Shabbat-Feier.
Dieser unglaublich starke, präsente Mensch hat alles aufgeschrieben, was ihm widerfahren war, seit die Welt aus den Angeln gehoben wurde und er sich nach kurzer Zeit erst in Westerbork und dann in überfüllten Zügen auf schrecklich langen Fahrten quer durch Europa, bis Polen, bis zur äußersten Grenze in Polen, wiederfand. Rasch hatte er seine Liebsten verloren. Die Summe an Schrecklichkeiten, die auf diesen jungen Mann noch warteten, in verschiedenen Lagern, von denen ich noch nie gehört hatte, ist kaum zu überbieten.
Schließlich kam er wieder an, in den Niederlanden, nach zwei Jahren absoluter Hölle und hatte geistig und offenbar auch körperlich überlebt. Wie kann das überhaupt gehen?, fragt man sich. Nun, er hat es sich auch oft gefragt. Die Anzahl der jüdischen Mitmenschen, die alleine in diesen zwei Jahren ermordet wurden, ist unvorstellbar, und doch ist es wichtig, sie uns vorzustellen.
Dieser Mensch hat Zeugnis abgelegt, während das große Unheil über ihn hereinbrach, und sicherlich hatte er das schon vorher geübt. Nicht, dass einen das schützt vor dem Tod, auch uns nicht, aber es liegt eine Kraft darin, im Sein zu leben, die alle inspiriert, die davon hören oder lesen.
Diese ungeheure Kraft im Zeugnisablegen – er konnte das besser als sein geliebter Freund, der leider gegen Ende der Höllenzeit starb. Jules schreibt genau, wie er versucht hat, sich seine Kreativität zu bewahren. Seinen Mut. Er benennt die Dinge genau und ist nicht getränkt mit dem, was man erwarten könnte: Abscheu, Entsetzen, Angst, Hass. Das ist alles da, aber beseelt ist Jules vom vollen Erleben dessen, was ist.
Der Mangel an Wasser, Toiletten, Hygiene ist derartig schlimm und verheerend, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken. Denn auch heute wieder, in welchem Lager, auf welchem Schiff auch immer, das mit Geflüchteten überfüllt ist, werden nicht als Erstes 2.000 Dixiklos aufgestellt und genügend Wasservorräte vorgehalten, um zu trinken und sich waschen zu können.

Wir wollen nicht wirklich wissen, wie das ist, oder? Wie man Menschen – Männer, Frauen, Kinder –mit dem Entzug des Notwendigsten erniedrigt, beschämt, entmenschlicht.

Was nun hat das mit meinem Titel zu tun?
Ich erlaube mir den unerhörten Luxus, hinzuspüren. Durch Meditation, Gebet, Training. Ja, es braucht Training, aus Gedankenmustern, die uns selber entmenschlichen, auszusteigen. Wir sehen dann nicht mehr, was wir wirklich brauchen. Toiletten, Süßwasser, ein bisschen Privatheit, Anerkennung, dass wir Menschen sind, die Bedürfnisse haben. Alle.
Einfach mal wieder sein dürfen, ist das Rezept, und erleben, was zählt. Mit einer tiefen Verbeugung vor dem Schriftsteller Jules Schelvis und allen, die auf diesen „Reisen“ durch Europa ihr Leben lassen mussten und müssen.

 

* Autor des Buches: „Eine Reise durch die Finsternis – Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslagern“