„Moltivolti“ ist italienisch und bedeutet „viele Gesichter“. Wenn die zwei Worte, wie hier, zusammengeschrieben sind, weist der Begriff sowohl auf ein sizilianisches Restaurant hin – übrigens in der Via G.M. Puglia, 21 – mit dem Zusatz „ethnic bar/cafeteria“, wie auch ein multiethnisches Projekt.

Bei dem multiethnischen Projekt handelt es sich um ein Bistro. Das Bistro wird von Afrikanern*innen und anderen, auch Weißen betrieben, die Speisekarte spiegelt diese Vielfalt wider, ein wunderschönes Gästehaus über den Dächern von Palermo wird betrieben, und es gibt Kooperationen z. B. mit dem „Ecomuseo Marevivo“, über das ich auch noch erzählen möchte.Ich habe es am zweitletzten Tag unserer Reise entdeckt, als ich eine neue Gasse betrat, fünf Minuten von der arabisch-normannischen Kathedrale entfernt, die wir von hinten durch ein Tor von einem der beiden schmalen Balkone der Ferienwohnung aus sehen konnten.Ich glaube, die Gasse hieß „Via degli Zingari“, das heißt Zigeunergasse, was mir sehr recht war, denke ich doch manchmal, dass ich auch Zigeunerblut in mir habe, bei meiner wilden Lust am Tanzen, wenn, aber nur wenn die Musik stimmt. (Leider habe ich auch immer größere Freude am Singen, auch durchaus alleine, was in meinem Alter sicherlich nicht so gut ankäme. Es ist ja nicht gerade eine Opernstimme, über die ich verfüge.) Jedenfalls erinnere ich mich genau, wie spannend ich diese Gasse, wie fast alle Gassen, die ich entlanggelaufen bin, alleine oder zu zweit, fand, wie ich stehen blieb und die zum Teil rohen oder freigelegten oder abgebröckelten Fassaden, Mauerreste oder Gehwege betrachtete oder bestaunte. Das meiste, was wir erblicken, auch unter unseren Füßen, ist alt, die großen quadratischen Steine einiger Straßen und Gehwege, glänzen wie frisch gebohnert oder noch nass vom Regen. Wie eine wissende Archäologin schaue ich die Gesteinsschichten an, manche Schicht wie ein Wundpflaster zwischen anderen, älter erscheinenden Steinen, man wundert sich, wie alles hält, und es hält ja auch nicht immer. Schauen wir nach oben zu den überall vorhandenen Balkons, auf denen höchstens die Wäsche aufgehängt wird, selten steht da mal ein Stuhl, sehen wir geschwungene, steinerne Halterungen, die den Balkon stützen und halten – aber schaffen sie das denn noch? Die steinernen Bögen werden also verstärkt auf vielerlei Weisen, unten den Balkons sind grün schimmernde Netze gespannt, die das bröselnde Gestein auffangen sollen. Möchtest du da wohnen, fragt Sabine mich, ich weiß es nicht, sage ich. Ich weiß, dass sie den Balkon nicht betreten würde, auch wenn er einen sicheren Eindruck machte. Ostern schieben sich die Menschen schon, vor und nach und während der Prozessionen, man kann aber auch von den vielen Straßenrestaurants zuschauen, während lustig behörnte Pferde und Gestalten aus dem Karneval oder aus der Zwischenhölle an einem vorüberziehen. Wie wird das erst im Sommer sein! Auf der Wiese hörte ich eine Halb-Sizilianerin/Halb-Deutsche über den Sommer sprechen, in dem es 48 Grad heiß geworden war.Hatte man diese Gasse hinter sich, musste man noch einen Schlenker machen, ich könnte ihn blind machen, aber nicht beschreiben, und man stand fast genau am Eingang von Molti-Volti, sah aber auch die zum Café gehörenden bunten kleinen Tische und Stühle entlang der Kirchenmauer. Obwohl noch im Schatten liegend, nahm ich dort Platz. Es war frisch, ein wenig wie jetzt, in der Wohnung: Ein deutlicher Temperatursturz, wenn die Sonne nicht darauf schien. Mit dem Unterschied, dass die Sonne um die Mittagsstunde schon so brannte, dass wir Schatten aufsuchten.

Palermo hat so viele unterschiedliche Gesichter, von denen wir nur einige wenige sahen. Viele, die wir trafen und fragten, Taxi- und Busfahrer, Vermieterinnen und Barbesitzer, waren aus dieser Stadt. Alle arbeiteten hart und sagten, sie bräuchten das Reisen nicht, sie liebten ihre Stadt. Auch sie werden nicht alle Gesichter kennen und nicht alle, die sie sehen, mögen. Vielleicht reist man auch deswegen nicht, weil man hart arbeitet, arbeiten muss, mehrere Jobs hat. Sizilien ist arm, aber reich an Kunstschätzen, Früchten und Gemüse, Herzenswärme, Vitalität und Vespas. „Moltivolti“ bezieht sich aber auch auf die Gesichter konkreter Menschen und Ethnien. Wenn man solche Anblicke und Geschichten mag, die das friedliche Nebeneinander und Miteinander der großen Religionen bezeugen, in denen jedoch auch immer wieder die Herrschaft wechselte, was zu einer großen Aufgeschlossenheit und kulturellem, künstlerischem und kulinarischem Reichtum führte. – Ich werde von der Vielfalt und Offenheit, aber auch von gnadenloser Enge und Perversion erzählen.

 

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