Eröffnungsrede der Lesung "Leseprobe aus dem Eingemachten".

 

Eröffnungsrede der Dichter*innen-Lesung “Leseprobe aus dem Eingemachten” mit den fünf Wortkünstlerinnen und Wortkünstlern:

Jonas Hackethal
Christine Lang
Hilla Neumann
Luis Padberg
Ingo Thies

Von links: Hilla Neumann, Jonas Hackethal, Ingo Thies, Luis Padberg, Monika Winkelmann und Christine Lang.

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe mir noch unbekannte Gäste, die das geschriebene Wort lieben,
liebe Kinder der Künstler …. innen (und außen),
liebe Weggefährtinnen und -gefährten,
hochverehrtes Publikum!

Bis vor sieben Jahren, also vor Covid auf jeden Fall, habe ich ganz regelmäßig zu Lesungen meiner vielen Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen eingeladen, manchmal auch nur uns selber, wenn wir in Seminarhäusern wir im Waldhaus oder im Kunzehof waren. Jeder Bildungsurlaub an oder in der Nordsee, alle Einkehrtage im Waldhaus am Laacher See, jeder längere Schreib- und Lebenskunst-Workshop, jede Ausbildung, wie es vor allem zum Erlangen der Zertifikate der Frauenschreibschule KALLIOPE notwendig war, endete mit einer internen oder, viel öfter, mit einer öffentlichen Lesung. Auch jede Kursreihe in der Katholischen Familienbildungsstätte Bonn, der ich ca. 35 Jahre lang diente. Nie ließ ich etwas darüber verlauten, auf jeden Fall nicht an den ersten drei Tagen. TeilnehmerInnen lernen und üben gerade, ihre inneren Zensoren zu identifizieren und zu überlistrn, was auf vielfältige Weise geschehen kann. JedeR einzelne von uns hat eine andere Geschichte mit dem freien Ausdruck, der so frei oft nicht ist, oder bleibt. Toxische Familiengeheimnisse, die politische Zensur durch zwei Diktaturen und andere Hindernisse habe unser Verhalten tief geprägt, oft über Generationen.

Wir übten mehr als das kreative Schreiben und professionell angeleitete Selbsterfahrung. Wir übten, uns und anderen genau und offen zuzuhören. Das geht nur in einer Atmosphäre von Spielregeln, überwiegender Angstfreiheit und Wertschätzung. Wir lernten unsere innere Schreibstimme kennen und ihr zu vertrauen – das dauert meist Jahre! Konfliktfähigkeit, Stärkung der Ausdruckskraft, Selbstvertrauen und oft: Persönlichkeitsentwicklung und Potentialentfaltung vor allem in Langzeitprojekten wurden ermöglicht.

“Ans Eingemachte gehen”: Das ist ein Ausdruck aus der Blase von Selbsthilfegruppen und Therapie. Als die Seuche über uns hereinbrach, ging es bei mir als inzwischen erfolgreiche Rentnerin im non-profit-Bereich und einer Art “Nonne in täglichem Friedensdienst” so richtig ans Eingemachte! Mein Eine-Frau-Business ging zu Bruch. Ohne Übergangsgeld, kleines Erbe meiner Mutter, ein paar wenigen, wackeren treuen Langzeit-Schreiberinnen, von deren Honorar und Spenden ich mir Cappuccino, Bücher und die Honorare für meinen Zen-Lehrer und andere Mentorinnen und Supervisoren bezahlte sowie die eine oder andere Ausbildungsreise, würde ich jetzt eingezwängt sein in einen oder zwei Minijobs und meine drei Berufungen, die jetzt EINS geworden sind: Nämlich Zen, Schreiben und Studieren/Lehren nur noch am Wochenende leben können. Ich bin also zwar abgebrannt, finanziell, aber Herz und Seele sind genährt und im Einklang mit meinen höchsten Zielen, jetzt im 74. Lebensjahr. Es ging und geht Dank der Gefährtinnen und Gefährten, die mit mir in Stille sitzen oder schreiben oder saßen und liefen oder reisten und Zeugnis ablegten, wieder richtig los, mit dem heutigen Abend!

Die fünf Lebenskünstlerinnen und -künstler kommen diesmal nicht aus ein- und demselben Kursus oder Training, sondern als diese Gruppe haben sie sich erst bei den beiden Generalproben kennengelernt:

Mit Jonas Hackethal flog, lief, reflektierte, weinte und schrieb ich bei unserer zehntägigen Pilgerreise zum Flüchtlingslager in Piräus, 2016. Jonas legt seinen mit Herz, Ehrlichkeit und Ironie geschriebenen Bericht in drei Teilen hier zum ersten Mal einer anonymen Öffentlichkeit vor.

Christine Lang hat mich bei einer 5-tägigen Schreibwerkstatt in der Akademie Remscheid kennen gelernt. Sie hatte soviel Freude am Sich-Ausdrücken gewonnen, dass sie auch noch den vorletzten Ausbildungskurs KALLIOPE über mehrere Jahre belegte. Seit einigen Jahren treffen wir uns immer wieder, sind Freundinnen geworden und sie behauptet, mit mir überall hinreisen zu wollen. Tatsächlich sind wir heute von einer 9-tägigen Pilgerreise nach Krakau und Auschwitz zurückgekehrt. Natürlich mit Schreiben. Christines Wort-Elfchen und andere eher kurze, prägnante Texte aus ihrem Leben oder aus dem Leben selber sind uns stets spritzige Freude und Inspiration.

Hilla Neumann: Ein weiteres Geschenk des Lebens an mich. Auf einmal war sie wieder da, nach wirklich vielen Jahren Abstinenz. Bei “Flotte Lotte” in Beuel hatten wir, meine Tochter und ich, gerne gestöbert und eingekauft. Und nun raten Sie mal, wer Flotte Lotte ist. Sie werden es an Hillas originellen, eigenwilligen, historisch-autobiographischen, warmherzigen Texten erkennen. Haben Sie ein Problem, auch ein ganz weltliches, wenden Sie sich an Hilla. Außerdem massiert sie auch noch.

Luis Padberg:
Sein erster Sohn Kasi hat uns definitiv zusammen gebracht. Sehr mutig, direkt und eigenwillig. Mit Kasimir und seinen beiden Zwillingsbrüdern habe ich dann weit weniger zu tun gehabt, als Kasi das wollte, als ich dachte. Aber mit Luis, einem begnadeten Schreiber, auch von Masterarbeiten, WENN er sich denn daran begibt. Für manche ist das Anfangen schwer, für andere das Beenden. Für mich galt Letzteres. Aber Luis: Wenn er den Anfang hat, ist er nicht mehr zu bremsen. Wir waren zusammen mit Katrin Michels, auf einer Pilgerreise in Bosnien. Wir schrieben überall, im Hotel in Sarajevo, im Cafe, im Bus nach Sanski Most, im Friedenscamp, das wir für einige Tage aufgesucht hatten, abends spät unter dem Sternenhimmel oder am Fluss. Hören Sie ihm zu und staunen Sie. Fragen Sie ihn, wo wir des Nachts meditierten, schrieben, lasen und weinten.

Ingo Thies:
Obwohl loyaler Presbyter der Friedenskirchengemeinde in Bonn-Kessenich: Ingo wollte vor zwei Jahren Meditation lernen und sitzt seitdem sehr regelmäßig, fast täglich mit mir morgens, online. Nun ist er auch auf den Geschmack des Kontemplativen, Heilsamen Schreibens gekommen. War es das Schreiben und Vortragen am Mittwoch? Die längeren Schreibzeiten bei der Friedensfahrt nach Remagen, auf die Goldene Meile und ins Friedensmuseum, zur Kapelle der Schwarzen Madonna, hatten ihn fasziniert. Und dann war auch Ingo, der mich konstant und freundlich am Computer mit Hilfestellungen begleitet, mit in Polen! Wir haben mehrere Texte am Tag geschrieben. Seine besonnene, aber auch mal ins Volle gehende Schreib-Stimme ist uns vertraut geworden.

 

Und nun laden wir zu Klang, Stille und Wort ein.

 

Zu Beginn jeder Lesung lesen wir einen Text vor, der während der Generalprobe entstanden ist und sich direkt auf den Titel der Veranstaltung bezieht.

 

Eingemachtes

Eingemachtes sah toll aus, vor allem im Rückblick: Gefüllte Kellerregale, mit kleinen Gläsern mit eingekochtem Gelee und Marmelade, großen Gläsern mit Obst, das zum Nachtisch oder – selten – zum Milchreis oder Gries Pudding oder Brötchenauflauf gegessen wurde. Brötchenauflauf – herrlich. Nur, dass ich als Schulkind nach einem ganzen Vormittag in der Schule bald wieder Hunger hatte, nach dem Mittag. Mutter mochte keine hungrigen Kinder und Menschen, sie fand sie, glaube ich, irgendwie unbeherrscht. Sie selber war magersüchtig, was sie immer abgestritten hätte. Ich hatte ein ausgesprochenes Feingefühl für Suchtkrankheiten, wofür es in der engeren und erweiterten Familie reiches Anschauungsmaterial gab. Wir fräßen ihr noch die Haare vom Kopf!, sagte sie missbilligend – ich denke gerade, sie konnte froh sein, keine Buben gehabt zu haben, was die wohl gemacht hätten, in einem Haushalt, wo sogar das Obst rationiert wurde… – egal, der Keller war vor allem bei der Großmutter Katharina voll, die, wie ich oft sage, noch alles konnte: Große Wäsche organisieren (es gab einen großen Kellerraum dafür) und zahlreiche Stangen im Nutzgarten zum Wäscheaufhängen und Teppichklopfen. Befehle erteilen, Öfen einheizen und säubern, einen Riesenhaushalt und eine Flucht organisieren, kochen, jagen, säen, ernten, einmachen, Saft machen, Champignons ernten und einmachen, manchmal Pfifferlinge, Erbsen, Bohnen, Mirabellen, Erdbeeren, Kirschen, Pfirsiche, Aprikosen. Sie spielte gut Klavier – ein Flügel stand im Wohnzimmer, war belesen, telefonierte und korrespondierte, auch mit Naziführern, von denen es in Norddeutschland nicht wenige gab. Ein gewisser Herr (General?) Frick spielte eine Rolle, den ich irgendwann in Bonn-Bad Godesberg, zu meinem Entsetzen, entdeckte. Einmal riich dort auch an, er war sehr alt, lud mich zum Kaffee ein. Ich meldete mich nie wieder, war einer solchen Begegnung nicht gewachsen.

Mit Vanillepudding zusammen schmeckten die süssen, matschigen Früchte am besten! Heute würde man Vanilleeis oder Waffeln dazu reichen. Omi Schafstedt hatte Hühner, Gänse, ganz früher auch Schweine und las das Deutsche Volksblatt. Opi kann ich nicht oder kaum bei irgendeiner Arbeit sehen. Man spielte irgendeine Krankheit, an der litt, herunter, vielleicht Demenz, vielleicht irgendetwas anderes. Psychische Krankheiten hatte es nicht zu geben, schon gar nicht in unserer Familie, andere Krankheiten eigentlich auch nicht. Wie in den Lagern.

Meine Mutter „Mutti“ hatte nicht soviel Freude, um nicht zu sagen: keine, am Kochen, am Hausfrau-sein. Doch der Gatte verlangte, dass frau am Abend, am Samstag und Sonntag was Ordentliches auf den Tisch brachte, und mit dem Haushaltsgeld, das er ihr gab, auskam. Das aber wollte meine Mutter nicht, sie hatte vorher verdient und kann arbeiten, wenn sie will.

Aus all dem Geschilderten folgt, liebe Freunde, dass es viele Geschehnisse gab, die eingemacht wurden, aber die nicht unbedingt gut verdaulich durch die Kocherei mit viel Zucker geworden waren. Zuviel Zuckerguss, meiner Meinung nach, auf dem Leben der meisten Deutschen. Deswegen sind unsere Keller so voll an Eingemachtem, das sich vom Geruch und Ausstrahlung her durchaus mit Fässern von eingelegten Heringen, sauren Gurken und faulen Eiern messen ließ.

Monika Winkelmann, Mai 2025, nach dem Auschwitz-Retreat

Begrüßung

Christine und Monika erklären Wort-Elfchen

 

 

Abschlussrunde