Texte Italienreise 2020
Jana Heberlein

 

  1. Angekommen in Palermo (14.01.20)

Angekommen und doch nicht. Körperlich ja, aber Kopf und Gefühl hängt noch nach. Was wird mich hier erwarten in Sizilien? Um mich rum Kaffeegeräusche und Italienisch. Ich fühle mich wohl in dieser Atmosphäre aber zuhause bin ich nicht. Am Autocounter schnell abgefertigt sitze ich nun hier mit nicht mehr als einem Zettel, einem Rucksack, einem Cappuccino und zwei Mitreisenden. Wo werden wir heute hinfahren? Wo schlafen? Wo essen? Wer wird uns begegnen? Alles ist offen. Ein schönes, spannendes aber manchmal auch beunruhigendes Gefühl. Im Flugzeug dachte ich noch, ich bin nicht bereit für diese Reise, für dieses schwere Thema. Genug Schwere lag zuletzt in meinem Leben. Doch vielleicht führt mich Sizilien dahin, wieder offener zu werden, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Noch einen Schluck Kaffee in der Tasse, dann geht es los.

 

  1. Auf der Fähre (15.01.20)

Klare Sicht auf der Fähre von Messina nach Reggio Calabria, der Ort scheint wie ein Paradies aus blauem ruhigen Meer, gelbgrünen Hügellandschaften, die sich an den Küsten von Sizilien und Süditalien entlang ziehen. Südländische Häuser ergänzen dieses Puzzle von einem typisch mediterranen Bild. Als das Schiff ablegt zieht der Wind an. Jetzt kann man sich vorstellen, dass hier nicht nur die Schönheit, sondern auch gefährliche Strömungen zuhause sind. Nach links und rechts nur Meer. Wo genau sind hier die Menschen angekommen, die auf der Flucht sind? Über welche Wellen sind sie geschaukelt? Waren sie erleichtert? Haben sie überhaupt noch was gefühlt?

Berg und Tal säumen den Horizont sowie unendlich scheinendes Wasser. Für die Geflüchteten muss das Meer jetzt anders aussehen, wie vor ihrer Abreise. Vielleicht hassen sie es, weil es erbärmlich, brutal war während der Fahrt. Vielleicht hat es sogar einen geliebten Menschen verschluckt. Welchen Hass hat man dann auf die Natur? Oder ist man nur hilflos?

Ich, jemand, der das Meer unglaublich liebt, kann mir nicht vorstellen, das endlose Blau mal mit einem negativen Gefühl zu betrachten. Respekt ja, Respekt habe ich immer vor der Natur. Aber was müsste mir geschehen, damit ich diese natürliche blaue Schönheit verabscheue? Könnte ich ihr jemals wieder „in die Augen sehen“?

Die Menschen, die über das Mittelmeer kommen, ich habe einen solchen Respekt vor ihnen, bewundere ihre Stärke, ihr Durchhaltevermögen, ihren Biss und ihre unendliche Hoffnung auf etwas Besseres. Ich wünsche jedem einzelnen von ihnen aus tiefsten Herzen, dass er oder sie das „Bessere“ findet, was auch immer das für die jeweilige Person heißen mag. Und mit diesem Gefühl der Hoffnung setze ich über nach Italien.

 

  1. Pilgern

Pilgern ist für mich langsames Reisen. Offen sein für Menschen, Kulturen und Länder. Eigentlich verknüpfe ich es auch mit Wandern, also unabhängig zu sein von modernen Transportmitteln und Handyempfang. Eine Wanderung durch die Alpen zum Beispiel, die ich letztes Jahr machte, von Deutschland bis Italien.

Was diese Reise für mich ist, weiß ich noch nicht. Nicht ganz pilgern, nicht Urlaub, auch keine journalistische Reise – bis jetzt. Noch nie bin ich so sehr in Kontakt mit Spiritualität und Meditation gekommen. Das ist eine neue Erfahrung, die ich noch nicht einordnen kann und die in mir wühlt. Ich denke, es ist nicht der Weg, den ich alleine gehen würde aber der Weg dieser Gruppe, für den ich mich immer wieder neu öffnen muss, um meinen Blick zu weiten.

 

(Notizen)

*Reggio Calabria

→ Ankunft wo auch Rettungsschiff war, Malerei an Mauern, wütender Mann im Café

Gizzeria Lido

  • Restaurant hinterm Laden, Besitzer erzählen von ankommenden Flüchtlingen, Gemeinden beerdigen Tote auf Friedhöfen, EU zahlt 80 Euro Unterhalt pro Flüchtling, Notversorgung neben Tankstelle, Menschen hier sind sehr arm

Sizilien, erster Tag, erster Gedanke

  • Cefalu → Hier das Paradies und einige Kilometer weiter draußen die Dramen

 

 

  1. Auf der Seele (16.01.20)

Der Zwiespalt der Italiener. Einen Friedhof anlegen für ein gutes wohlwollendes herzliches Zeichen an die Welt. Ein Ort an dem Mütter, Väter, Geschwister, ihre Verlorenen wiederfinden können. Eine Blume ablegen. Neben einem ehemaligen Konzentrationslager, in dem es wohl niemals Gewalt gab. Klingt irgendwie sinnvoll. Doch wie klingt es für die, die ihre Verluste betrauern? Und wie für skeptische Italiener? Wie der Typ aus der Bar in Reggio. Während Monika mit einem Einheimischen sprach, kochte er förmlich vor Wut. Er lief hin und her wie ein Tiger, drehte sich immer wieder um, setzte an etwas zu sagen, doch tat es nicht. Dann verließ er das Café. Was hatte er zu sagen? Was belastete ihn an dieser Situation?

Ob der internationale Friedhof in Tarsia mehrheitlich gut aufgenommen wird, wer ihn besucht und schätzt oder vielleicht verabscheut, davon werden wir heute wohl einen Eindruck bekommen, der auch in uns mehr Klarheit über Tatsachen formt. Ich möchte wissen, wie es wirklich ist.

 

  1. Tarsia – Tag 1

Municipio

  • Frage nach Foto löst Aneinanderreihung von Kontakten / Erlebnissen aus
  • Dame, die bei Gemeinde arbeitet, ruft Dame an, die Führungen im KZ macht
  • Fragt den Projektleiter vom internationalen Friedhof bzw. seinen Assistenten, ob er Zeit hat
  • Der holt uns ins Büro, erzählt viel, holt Pläne
  • Er ruft Polizistin an, die uns mit ihm zum Friedhof Projekt fährt und zum alten Friedhof
  • Die ehrenamtliche Mitarbeiterin vom KZ holt uns dort ab und führt uns zum Museum, wir bekommen eine Tour
  • Dann kommt der Initiator des Internationalen Friedhof-Projekts vorbei, der vom Projektleiter vorher angerufen wurde. Bastello?
  • Wir teilen mit, dass wir Hunger haben und Maria (Museumsfrau) fährt uns zu einem abgelegenen Restaurant, wo wir Flavio treffen
  • Er und seine Mutter bekochen uns köstlich. Flavio fährt uns wieder nach Tarsia und gibt uns noch eine kurze Rundfahrt

 

Infos zum Projekt

  • Seit 5 Jahren geplant
  • Teilweise umgesetzt, weil Finanzierung versprochen wurde aber nicht ganz angekommen ist (250.000 von 400.000)
  • Noch keine Gräber
  • Unterteilung in International und Einwohner
  • Idee der Umsetzung in Tarsia, weil es hier die Geschichte von einem menschenrecht-freundlichen KZ gibt
  • Menschen sind besonders aufgeschlossen
  • Eröffnung im Oktober geplant – am 3., am Tag des schrecklichen Unglücks in Lampedusa
  • Italiener erfahren viel Unterstützung aus Deutschland

 

Namen der Personen:

  • Mariuccia Maria Lavorato
  • Simona Caliberti
  • Francesco Samson?
  • Franco Corbelli

 

  1. Benvenuti a Tarsia (16.01.20)

Tarsia, ein Ort wie eine Festungsanlage auf einem Berg. Rundum ziehen sich grüne Hügel, manche mit Bäumen, manche mit Wiesen oder Äckern. Bei dem herrlichen Sonnenschein sieht man auch weiter entfernte mächtige Berge mit schneebedeckten Gipfeln. Und mitten drin: Tarsia. Mauerumzogene Häuser auf einem steilen Berg. Romantisch, nostalgisch, authentisch würde wohl in einem Reiseführer stehen.

Wir fahren von der Anhöhe hinunter, mitten rein in den kleinen Ort, direkt auf den Dorfplatz vor die Gemeinde. „Municipio“ steht an einer Hauswand, hinter der es schon wieder steil abwärts geht. Die Frage an Passanten, ob sie von uns ein Foto machen können, verwickelt uns sofort in Gespräche. Die Worte „Internationaler Friedhof“ und „jüdischer Friedhof“ sind kaum gefallen, schon zuckt eine Italienerin ihr Handy und mobilisiert diverse Menschen, mit uns in Kontakt zu treten.

Wir erfahren, es gibt eine Dame, die Besichtigungen beim ehemaligen Konzentrationslager anbietet und direkt hier im Municipio sitzt der Projektleiter von dem Internationalen Friedhof für Flüchtlinge. Nun wird es hektisch. Die Dame wird immer aufgeregter und wir werden es auch. Sie nimmt uns mit ins Gebäude, wir werden an einen Assistenten weiter gereicht, der uns erlaubt einen Raum weiter zu gehen, wo der Projektleiter Francesco sitzt, den wir zuerst mit dem Bürgermeister verwechseln, was aber später korrigiert wird.

Es folgen viele italienische Erläuterungen, die ich nicht ganz verstehe. Nur Bruchteile kann ich mir durchs Spanisch herleiten. Aber Laura flüstert mir tapfer die Übersetzungen ins Ohr. Ich fühle mich etwas unnütz, so ohne Italienischkenntnisse und bin gleichzeitig fasziniert von dieser Situation. Francesco erzählt, gestikuliert, zückt Projektpläne und erklärt uns alles ganz genau. Kurzerhand ruft er den Initiator des Projekts und Menschenrechtsaktivist Franco Corbelli an. Klar, den kennt er, sagt er zu uns.

Und prompt verabredet er für uns ein Treffen. Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr raus, als er noch die Dorfpolizistin organisiert, die uns in einem winzigen Polizeiauto zur Baustelle des Friedhofs fährt. Weitere Erläuterungen von Francesco informieren uns über die genaue Zeitplanung des Projekts, finanzielle Schwierigkeiten und so weiter. Sie wollen am liebsten kommenden Oktober eröffnen, erfahren wir. „Aha.“ – viel mehr kann man bei dem Tempo gar nicht sagen, das er vorlegt.

Es folgt eine schnelle Tour über den katholischen Friedhof von Tarsia. Mauern, Blumen, Bilderrahmen mit den Gesichtern der Begrabenen. Dazwischen Judengräber flach auf dem Boden.

Zurück am Eingang werden wir in das nächste Auto gesetzt. Mariuccia begrüßt uns freundlich und fährt uns einen Ort weiter nach Ferramonti. Hier wurde ehrenamtlich ein Museum über das ehemalige Konzentrationslager aus dem zweiten Weltkrieg errichtet. Kalte Mauern, viele Bilder und sehr viele Erzählungen der Italienerin bringen uns auch diesen Ort ganz nah. Ein Mut machender Ort, denn hier wurde niemand gequält, niemand vergast. Hier hatte sich eine Gemeinschaft gebildet, die sich gegenseitig unterstützte und sogar fähig war, Hitler und co. auszutricksen. Wie schön, dass auch in den schlimmsten Zeiten Menschlichkeit siegen kann, wenn auch nur im Kleinen.

Einige Zeit, zwei kalte Füße und ein knurrender Magen später, trifft Corbelli ein. Ein kleiner, zarter, älterer Mann, der eine unglaubliche Stärke und Entschlossenheit ausstrahlt. Er scheint sehr dankbar für unser Interesse, spricht kurz und intensiv mit uns. Dann noch ein Foto und er muss schon wieder weiter zum nächsten Termin. Auch wir sind dankbar und so beeindruckt wie viele Verabredungen in kürzester Zeit für uns organisiert werden.

Als Mariuccia aka Maria erfährt, dass wir Hunger haben, zückt sie gleich wieder ihr Telefon. Ja, sie kennt da jemanden… Wieder sitzen wir in ihrem Auto, das uns diesmal in die entgegengesetzte Richtung fährt. Ein verlassenes Häuschen, ähnlich einer spanischen Finka an einem flachen Hang mit Bäumen und Büschen gesäumt, taucht auf. Flavio empfängt uns und vier unglaublich süße aufgeregte junge Hunde. Maria muss zu ihrer Familie. Flavio nimmt uns mit rein und bringt uns kalabrische Köstlichkeiten, handgemacht von seiner „Mama“, die uns auch hin und wieder am Tisch besucht. Flavio ist ein Scherzkeks und versucht mich mit permanenten offensichtlichen Flirtversuchen bis zu Heiratsanträgen aus der Reserve zu locken. Gar nicht so einfach mit meinen drei Wörtern Italienisch darauf zu reagieren. Gut, dass meine zwei Übersetzerinnen links und rechts neben mir sitzen.

Wunderbar satt kutschiert uns Flavio zurück nach Tarsia, zu unserer „Machina“, aber nicht ohne eine Extratour durch den Ort und sein eigenes Theater, in dem er Regie führt. Man meint, er möchte uns gar nicht mehr gehen lassen, bis er sich schließlich doch verabschiedet.

Es ist gerade einmal früher Nachmittag und ich fühle mich schon zwei Tage alt. Was für eine rasante, aufregende, informative und vor allem unglaublich gastfreundliche Aneinanderreihung von Ereignissen. Mein Kopf schwimmt noch in den vielen Eindrücken, Worten, Gesten und Gesichtern, die sich nicht so schnell sortieren lassen. Ich frage mich auch, wo diese unglaubliche Herzlichkeit in Kalabrien gewachsen ist.

 

 

 

 

Geschichte. Weltkrieg. Generationen. Schuld und Unschuld. Friedhof. Frieden oder Krieg. Gefühle kochen über. Klärung. Diskussion. Sichtweisen. Blickwinkel. Objektiv. Wechsel der Sicht. Berge. Olivenbaum. Straßen. Offene Augen. Tief. Neu. Paprika Mozzarella und Gnocchi. Zu viel Zucker im Saft. Sonne. Schleichweg. Zu viel Müll. Rückkehr. Müde. Bauchweh. Grund der Reise. Verfolgen. Weitergehen. Morgen. Was können wir tun?

Kontrast Zuhause. Konsum. Ablenkung. Balance finden. Pause.

 

Friedhof in Falerna

  • Hoch auf dem Berg
  • Keine Migranten (trotz Aussage von Emma aus dem kleinen Laden in Gizzeria Lido

 

 

  1. Armo (18.01.20)

Übelkeit steigt auf. 80 Gräber oder eher Haufen aus einem Sandsteingemisch. Darauf zum Teil Kreuze und Schilder. Fast alle gleich. Schwarze Schrift auf Weiß. Name. Todestag. Manchmal auch Geburtsdatum und vollständiger Name oder der Fundort des Menschen. Ertrunken im Mittelmeer. Ein Schild von einem jungen Mann trägt sogar ein Bild, Danjel, 98 geboren. Er lächelt freundlich, sieht sympathisch aus. Zwischen den Gräbern liegen Steine mit Vogelfiguren darauf. Kleine braune Skulpturen. Fröhliche Vögel, die zu zwitschern scheinen. Zeichen des Lebens. Was ist mehr Leben als Vogelgezwitscher?

An den Gräbern Plastikblumen, manchmal auch eingepflanzte Grünpflanzen. Man sieht hier wurde Liebe angelegt. Der Ausblick ist herrlich, auf grüne steile Berge mit bonsaiartigen Bäumen und diversen weiteren Büschen, die die Hügel schmücken. Mit ist trotzdem übel. Vor allem bei dem Gedanken, dass hier ein Bruchteil von Menschen liegt, die auf wahrscheinlich grausame Weise ertrinken mussten. Und plötzlich höre ich in mir die Stimme: „Es tut mir leid“. Es tut mir wirklich leid. Ich fühle mich machtlos und bilde mir ein, eine Dankbarkeit der Menschen zu spüren, die dort liegen. In einem Artikel stand, dass hier auch eine Mutter mit ihrem zwei Monate alten Kind begraben wurde. Ich versuche das Grab zu finden, aber erreiche es nicht.

Die Sonne scheint immer wieder durch die Wolken. Man hört wirklich Vögel, die aufgeregt schnattern und Schafe, die sich unterhalten. Im Hintergrund dieser kleinen Fläche von Gräbern sehe ich immer wieder ein gelbes Hochhaus in der Ferne. Jedes Mal stört es meinen Blick. Tod und Leben, so nah zusammen. Auf der anderen Seite die Mauer des italienischen Teils des Friedhofs mit ihren Grabfächern. Wieso hat man die Menschen nicht hier integriert? Sie bilden einen Kontrast zu dem improvisierten Teil mit den braungelben Haufen, der dagegen fast wie eine Blumenwiese scheint.

 

Notizen Armo

 

  • Verkäuferin im Blumenladen, lichtes Haar, obwohl jung, schielt leicht
  • Schaut immer zwischen uns hin und her
  • Schaut ängstlich bis abweisend, spricht aber laut und selbstbewusst
  • Kindern kamen in kleinen weißen Särgen – schrecklich
  • Hier war Platz, deswegen kamen die 80 Menschen hierher
  • Auch arme Italiener darunter, die kein Grab zahlen können
  • Friedhof wird ausgebaut, weitere Migranten sind willkommen
  • „Wir tun was wir können. Wir sind eine kleine Gemeinde und haben nicht viel Geld.“
  • „Wir sind keine Rassisten. Ihr könnt es nicht nachempfinden, weil ihr die Särge nicht gesehen habt.“
  • Auch auf dem Friedhof in Reggio sollen Flüchtlinge liegen (stimmt nicht)
  • Gibt uns Buchtipp: Neuland, Deutscher schrieb über Armo Friedhofs-Projekt

 

Friedhof Reggio

  • Mann erzählt:
    • Hier keine Migranten
    • Sie sind auf 23 Friedhöfe in der Region verteilt
    • Die Direzione Generale habe eine Liste der Friedhöfe – das Büro ist zu (Sonntag)

 

 

  1. Auf der Meerenge von Messina (19.07.20)

Blaugraues Meer, durch das sich helle Streifen ziehen wie Fäden. Ist das die Strömung? Es ist wolkig, grauweiße Watte hängt über dem Ort, von dem wir geradeaus Sizilien sehen können. Eine Palme schaukelt leicht im Wind. Ein Haus mit vom Wetter gezeichneten Wänden, steht direkt am Wasser. Türkise Fensterläden bringen etwas Farbe ins Bild. Daneben einige kleinere Häuschen mit wackeligen Dächern und halbfertigen Mauern wirken ganz instabil.

Ich stelle mir vor, in der Weite des Meeres ein rotes Schlauchboot zu sehen, überfüllt mit Menschen. Stelle mir die Kälte der Nacht vor, durch die sie mussten und ihre Freude Land zu sehen. Wir stehen am Fenster und freuen uns, dass sie es geschafft haben und eilen hinaus, um ihnen zusammen mit Einwohnern des Ortes aus dem Boot zu helfen.

Ich blinzle, Augen auf, das Boot ist weg, bleibt nur das kalte weite blaugraue Meer.

 

  1. Es geht los (20.01.20)

Es geht los. Die Rückkehr nach Hause. Die Fragen, die auf mich zukommen werden. Wie war es? Wen habt ihr getroffen? Was habt ihr gesehen? Und was habt ihr rausgefunden? Ich sehe viele interessierte Augen vor mir, Münder, die sich bewegen und die Sorge, ob ich alles so wiedergeben kann, wie es war. Ich sehe auch die Sorge, dass sich das Thema wieder im Alltag verliert. Sehe aber auch lange detailreiche Texte, die die Reise in Erinnerung behalten. Ich bin froh, dass ich heimkehren kann. Auch wenn Köln nicht meine Heimat ist, sondern nur mein aktuelles Zuhause, ist es ein schönes Gefühl, meinen Raum wieder zu haben, meine Familie und Freunde wiedersehen zu können. Ich habe ein Dach über dem Kopf und genug Geld für etwas zu essen. Das ist viel mehr als einige andere Menschen haben.

Wie der schwarze Mann in Reggio vor dem Café, der immer freundlich lächelte, aber innerlich sehr heimatlos gewesen sein muss. Er stand den ganzen Tag vor dem Café-Eingang. Er bettelte nicht aktiv, aber er war auch nicht passiv. Manchmal ging er rein, um sich einen Plastikbecher Wasser zu holen. Dann wieder raus, er bewegte sich nicht vom Fleck. Vielleicht war dieser Ort vor der Tür nun zu seinem vorübergehenden Zuhause geworden? Wartete er auf jemanden oder wusste er einfach nicht wohin?

Auf der Fahrt zum letzten Halt vor der Rückfahrt ergaben weitere Recherchen immer mehr Fakten, die wir nicht erwartet hätten. In Sizilien soll es ein Massengrab für Flüchtlinge geben, sowie eine Prosituierte aus Nigeria, die starb. Sie liegt angeblich in Cantaria auf dem Friedhof. Es bleibt keine Zeit mehr das zu überprüfen. Ein Artikel verriet, dass viele Nigerianerinnen in der Prostitutionsfalle landen, da sie abhängig sind, das geliehene Geld für die Überfahrt an ihre Familie zurück zu zahlen. Oft soll die Mafia es ihnen vorschießen, was die Frauen wiederum abhängig von dieser korrupten Organisation macht. Was für ein Leben. Werden sie nie eine Chance haben in Ruhe irgendwo anzukommen, ohne von anderen bestimmt zu werden?

Eine sizilianische Nonne hat sich der Aufgabe angenommen, ihnen zu helfen. Eine gute Seele gibt es in den meisten Geschichten, aber wird diese Seele reichen, um den Frauen aus ihrem Teufelskreis zu helfen?

Die Mafia, ein großes Thema in Italien, das wir auch auf unserer Reise streifen. Besonders auffällig waren die Müllberge in den Städten. An manchen Orten extrem saubere Promenaden, wie in Reggio. Aber läuft man nur einige hundert Meter tiefer in die Stadt, türmt sich der Dreck in jeder Ecke…

 

  • Terrassine -> Anti-Mafia-Stadt