Die unbeschreibliche Süße der Geh-Meditation
Ganz ehrlich, Geh-Meditation wird unterschätzt. Als ich vorhin meiner Wege ging, zur Straßenbahn, aus der Straßenbahn, zum Geschäft, zum anderen Geschäft, und das Mantra von Thich Nhat Hanh wie von alleine auf meine Lippen kam: ‘Ich bin angekommen, ich bin zu Hause’, stieg diese warme Welle der Innigkeit in mir hoch, die im Buddhismus auch Mitgefühl genannt wird: Die warme Kraft, die alles und alle miteinander verbindet.
Diese warme Welle erleben wir als Glücksgefühl. Ich bin immer wieder erstaunt, dass sie sich sozusagen einstellt, wenn ich sie einlade. Die Einladung ist das einzig Aktive an der Vorbereitung dieser Erfahrung, alles andere ist Geschenk.
Ich wurde heute gefragt, ob buddhistische Kenntnisse nötig seien, um bei mir irgendeinen Kurs zu belegen. Nein, natürlich nicht, antwortete ich, lächelnd, aber wieso ist das eigentlich natürlich? Wieso spreche und schreibe ich vergleichsweise viel über etwas, was für viele, vielleicht die meisten, Privatsache ist? Deine Religion? Das ist so privat, wie die Partei, die man wählt, und der Kontostand.
Bei mir ist das anders. Einen Teil der Ermutigung dazu habe ich mit den Zenpeacemakern gelernt. Teil unseres Trainings war, offen darzulegen, warum wir zum Beispiel nach Auschwitz führen, in ein 5-tägiges Zeugnis-Ablegen-Retreat. Zu Beginn dieser Berufung fand ich das zwar aufregend, aber auch furchtbar, ebenso furchtbar, wie um Spenden für meine – für mich ziemlich teure – Reise zu bitten. Das war dann meine neue Übung Nr. 2. Menschen reagierten darauf eher befremdet, wenn sie überhaupt so reagierten, dass ich es erfuhr. Ich lernte, übte, dass unsere Art und Weise, auch darüber Zeugnis zu geben, andere inspirierte, wozu auch immer. Einige wenige fühlten sich motiviert, eines Tages mitzukommen in eins dieser Retreats. Oder sich einen Vortrag anzuhören.
Man wirft eine alte Haut ab, auf derartigen Reisen, die ja gleichzeitig nach innen gehen, und dieser Prozess des Häutens kann Jahre dauern.
Die Süße der Gehmeditation: Sie wartet immer auf Dich, ist jedoch nicht gleich intensiv. Sie will geübt sein, so, wie die Süße des Sich-auf-das-Kissen-Setzens*), sich zurecht zu ruckeln, den reinen Klang der Klangschale zu hören. Sie kostet nichts, erfüllt vollständig, regeneriert, erdet. Antenne wirst Du, ja, das stimmt, eine gut geerdete Antenne. Obwohl ich weiteste Strecken zu Sesshins hin und zurück geflogen bin, Flugreisen, die sicherlich zehrend und für einen alternden Körper (und auch sonst) in Frage zu stellen sind. Nie bin ich krank aus Seattle, San Francisco, Mexico zurückgekommen. (Den Bruch des Schlüsselbeins im Pazifik in Mexico/Mar de Jade nehme ich seltsamerweise aus, ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht sollte ich sagen, es war das einzige Mal von neun Fernreisen zu Zen-Sesshins (die meiste siebentägig oder länger sind), daß ich tatsächlich recht lädiert zurückkehrte. Dazu werde ich noch schreiben.)
Alle schreiben und sprechen über das Sitzen, weil es herausfordernd ist, sich nicht zu bewegen, weil die Haltung schmerzt, mal mehr, mal weniger, mal gar nicht. Weil da soviel in uns geschieht bzw. nichts zu geschehen scheint, sich setzt. Aber ein großer Teil des Tages und Tagewerkes verläuft im Gehen, zwischen den Verpflichtungen hin und her, wie ein Webschiffchen am Webstuhl. Wir nehmen es kaum wahr.
Nimm’ Dir doch einmal vor, jeden Gang, und sei er noch so kurz, wahrzunehmen, zu spüren, seinen Verlauf zu genießen. Deinen Füßen, Knien, allen Gelenken, dem gesamten Zusammenspiel, welches Dein Gehen ermöglicht, zu danken. Wenn Du keine Schmerzen hast, danke dafür. Wenn Du welche hast, sage “Danke”. Dir wird angezeigt, dass etwas nicht ist, wie es sein könnte, wie es war.
Während des bewussten Gehens mache ich mir wenig oder keine Sorgen, es sei denn, die Liste der Aufgaben sei sehr lang. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass ich besser, effektiver arbeite, wenn Meditation im Sitzen, Gehen und Arbeiten ein fester Bestandteil meines Lebensvollzuges ist. Auch im Krankenhaus, bei medizinischen Behandlungen, greife ich zurück auf Mantras – kurze, längere. Lerne längere auswendig, kombiniere sie mit Gehen, Treppen steigen, einen – metaphorischen oder echten – Berg erklimmen, eine unangenehme Fahrt im vollen Zug, in der Straßenbahn, das Stehen an einer Warteschlange elegant zu überstehen, oder eigentlich nicht zu überstehen, sondern zu gestalten.
Wir denken, solche Süße würde nur in Begegnungen mit lieben Menschen, Kindern, Tieren, beim Anblick von Schönheit und dem Erfahren von echter Harmonie entstehen.
Nein, sie liegt in der Innigkeit der Erfahrung, der Vertraulichkeit und Vertrautheit mit uns selber, einem Spür-Gewahrsein, das wir trainieren können. Es macht uns in guter Weise unabhängig, selbstgenügsam. Eigentlich können wir den Begriff “Selbst” auch streichen, dann bleibt “genügsam”. Denn in diesem fließenden Zustand sind wir allseitig verbunden, und diese Erfahrung schenkt Glück.
*) wenn ich ‘Kissen’ sage, japanisch ‘Zafu’, dann denke ich mit: Bänkchen, Hocker, Stuhl