29. Dharma-Reflexionen vom 22.Juni 2025. Buchstudium“ The World Could Be Otherwise” von Norman Fischer roshi, S.101 – 103. Thema: Fortsetzung des Unterkapitels ‘Konflikt: Die fortgeschrittene Praxis der Geduld. Geduld mit der Wahrheit über unser menschliches Lebens“

Der letzte Vortrag endete mit den wörtlich übersetzten Worten “…und auf Liebe kommt es am meisten an.”

Hier erwähnt Norman Fischer die familiären Konflikte, die so verbreitet und so schmerzhaft sind. Wir fühlen uns am Stärksten verletzt von denen, auf die wir uns verlassen hatten im guten Glauben, dass sie uns lieben würden. Deren Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit verletzt uns wesentlich stärker als dieselben Haltungen uns gegenüber von Bekanntschaften. Wir brauchen nur an Israelis und Palästinenser zu denken oder an Irische Protestanten und Katholiken oder an muslimische Sunniten und Shiiten.

Dasselbe gilt für Gruppen bzw. “Stämme” bzw. Kollektive: Diejenigen, die einander am Nächsten stehen, als Geschwister, bekämpfen einander oft erbittert. Die Magie eines solchen Konflikts besteht darin, dass es einen Punkt von Verbindung und sogar Liebe im Herzen des tiefsten Schmerzes gibt. Wir sorgen uns so tief um einander, dass wir deswegen fähig sind, einander zu verletzen. Sobald wir dessen gewahr sind, können wir in uns nach der Verletzung und der Verwundbarkeit suchen. Beides ist auf jeden Fall da, unter Ǎrger, Kummer, Angst und Enttäuschung. Mit der Zeit werden wir die Liebe finden – den Platz in uns, der die grundlegenden menschlichen Gefühle beinhaltet,  die wir alle für einander empfinden.

“Bodhisattvas sind voller Wertschätzung für den folgenden Gedanken, der unserem Bauchgefühl entgegen spricht. Alle Etappen eines Konfliktes zeigen eindrückliche Momente auf, in denen die Tiefe unserer menschlichen Liebe auf unsere menschliche Sehnsucht und Entfremdung trifft.“

Geduld mit der Wahrheit unseres menschlichen Lebens

Nach den ersten beiden Feldern, der Geduld mit Konflikten innerhalb der Familie und mit nahestehenden Freunden und dann mit Kollektiven, ist das nächste Unterkapitel erörtert, nämlich die schwierige Wahrheit über unser menschliches Leben. Leben ist unbeständig, Zeit vergeht. Wir werden alle irgendwann krank und werden irgendwann alt. Wir sterben alle und erleiden Verluste. Wir alle werden alle, die wir lieben, verlieren sowie alles, das wir im Leben aufgebaut haben. Obwohl wir dessen im allgemeinen gewahr sind, zucken wir mit den Schultern und denken: Okay, das wird später geschehen, eine lange Zeit von jetzt an gesehen, also, warum darüber nachdenken? Lass’ und diese Dinge vergessen und das Leben genießen, solange wir noch können. Wie auch immer, vielleicht wird es nicht so schlimm, vielleicht werden wir Glück haben und die schlimmsten Schwierigkeiten werden uns erspart bleiben.”

*Zeit zu erfahren, heißt, Trauer und Verlust zu erfahren.

*Rabbi Nachman, der mich sehr beeindruckt hat durch das wenige, das ich von ihm weiß oder hörte, ein großer jüdischer Weiser, sagte: “Die Welt ist eine schmale Brücke. Hab‘ keine Angst.“

„Doch das ist es ja gerade: Wir HABEN Angst. Angst vor Verlust, Unglück etc. färbt Vieles von dem ein, was wir fühlen und erfahren, ob bewusst oder unbewusst.“

Norman beschreibt jetzt in Kurzform die jeweilige Antwort, die die großen monotheistischen Religionen zur Angstbewältigung anbieten, stellt die alten Erde-Religionen daneben und zum Schluss das, was der Klassische Buddhismus anzubieten hat. (Es ist das, was das vorliegende Buch zu übermitteln versucht). Der Autor stellt dabei keine Religion höher als die andere, was mir gut gefällt.

Den letzten Absatz möchte ich wieder wörtlich übersetzen, weil ich ihn tief und wahr und bescheiden finde, und er uns dadurch zu Geduld mit uns selbst und mit den Mit-Geschöpfen animiert – so jedenfalls geht es mir:

“Wie auch immer der religiöse Ausdruck sein mag, das Vorgesagte ist keine Wahrheit, die man leicht umarmen könnte. Sie verlangt radikale Demut. Sie fordert eine völlig andere Betrachtungsweise. Wir brauchen tiefes und geduldiges Ertragen unserer menschlichen Verwundbarkeit – dass wir sterben, dass wir auf die Gnade von Zeit und Welt angewiesen sind, dass unser beschränktes Selbstbild einfach nicht stimmen kann, dass wir uns weit über unsere Komfortzone hinaus ausdehnen müssen.”