2. Brief

Eben schrieb ich an eine Freundin, um ihr zu erklären, warum ich ihr ein bestimmtes Buch geschenkt habe, ihr, die mit Zen zwar zu tun hatte, aber es gar nicht so überaus schätzt, wenn ich es richtig verstanden habe. Die Menschen gehen so unterschiedlich mit ihrem spirituellen oder religiösen Weg um, manche sprechen am liebsten gar nicht darüber! – ich komme aus dem Staunen nicht heraus.

Das Buch heisst : BEYOND THINKING – A Guide to Zen Meditation. Zen Master Dogen. Edited by Kaz Tanahashi.

Ich habe mich in Dogen verliebt. Vor ihm hatte ich vor ein paar Jahren noch Angst. Warum Angst? Ich wusste, ich würde an ihm nicht vorbeikommen. Nicht nur, dass mein Lehrer Norman Fischer seine Masterarbeit über ihn geschrieben hat. Nein, er ist einfach auch der Begründer der Soto-Zen-Schule. (Begonnen hatte ich mit der Rinzai-Zen-Schule, die mir zu Beginn angenehm erschien, weil man nicht zur Wand gedreht sitzen musste, was mich ängstigte. Später nahm ich wahr, wieviel im Rinzai-Zen gesungen wird, und das gefiel mir sehr, weil es mich zwar herausfordert – wir sangen meist auf Japanisch -, aber auf eine Art, die mich begeistert. Langsames Gehen war nicht angesagt, langsames Essen auch nicht. man hatte schliesslich zu tun als Bodhisattva. Aus dem Dokusan-Raum hörte ich oft Schreien, was ich nicht mochte, oder lautes Lachen, das gefiel mir.)

Inzwischen kann ich mit dem Gesicht zur Wand sitzen, und sogar gerne. Ich schätze zwar immer noch Abwechslung und dynamisches, kraftvolles Singen, aber die behutsame Federleichtigkeit des Gehens und sich Bewegens, die zarte Geduld und die Vorsicht gegenüber jedem „Sich allzu sehr Hervortun“ sind eine gute Schule für eine so dynamische Person wie mich. Natürlich gibt es bei allen Schulen/Traditionen Schattenseiten, man muss immer offen bleiben für genau das Gegenteil, was man liebt, und die SanBo-Tradition führt uns ja sehr schön vor, wie beides zusammen geht.

Ich lehre ja neben Schreiben mit der eigenen Schreibstimme auch kreatives Lesen. So sage ich manchmal, für das eine Gedicht, dass Dich vollkommen ausfüllt, lohne sich ein ganzes Buch. Oder, bei einer Kunstausstellung, vor denen manche richtig Angst haben, empfehle ich: Nur das eine zu kontemplieren: Die eine Skulptur. Das eine Gemälde. Die eine Installation. Und sich gestatten, eine ureigene Resonanz darauf zu haben und dieser zu vertrauen. Unsere Schwingungsfähigkeit zu erhöhen – dazu inspiriere ich. Wir werden dabei flexibler, erfüllter, empathischer, bezogener, selbständiger.

Den EINEN Satz (für’s Erste, ich bin sicher, ich werde noch viele bedeutsame Sätze finden) habe ich heute im besagten Buch gefunden, auf Seite XXVI „Introduction“:“ Zazen ist eine Art Meditation, die so grundlegend ist, dass man sie noch nicht einmal Meditation nennen kann. Es ist einfach die Übung, die zu sein, die wir sind. Uns zu erlauben, einzuladen, uns für uns selbst zu öffnen. Wenn wir das tun, betreten wir direkt die Tiefe unseres Seins – eine Tiefe, die jenseits unseres individuellen Lebens liegt und alles Leben berührt.“

In der Verliebtheit wollen wir alles vom Geliebten erfahren, wir wissen ja noch so wenig, ahnen indessen ganz viel, projizieren hinein, sind fasziniert vom Umbekannten…In Dichter und Dichterinnen kann ich lange verliebt sein. Selten habe ich einen Absturz erlebt, ein hässliches Aufwachen, als der Alltag der Liebe einkehrte und nach Bemühung verlangte, nach Verzicht und lebendigen Kompromissen.

Bei Peter Handke war es mir so gegangen. Als ich von seinem Serbien-Buch las und wie alle Welt geschockt – und ein bisschen bewundernd – war von einer Parteinahme, die in Deutschland unmodern war (man musste sich für Bosnien/Herzegowina entscheiden), fiel er in Ungnade. Bis ich ihn eines Tages durch Zufall in Spanien anlässlich einer Preisverleihung sprechen hörte. Da war sie sofort wieder da: Aus meiner Verliebtheit war Liebe geworden. Am Ende war er es, der mich, unwissentlich, zu Zen geführt hatte. Wer konnte ein dickes Buch schreiben über Spaziergänge durch Pariser Vorstädte, ohne Handlung? Jedenfalls erinnere ich mich an keine einzige.

Woran ich mich erinnere, ist ein Mini-Essay mit dem Namen „Über die Dörfer“: „Entscheide nur begeistert“.

Ich werde versuchen, den Text zu finden und hier nachtragen.

Es haut mich immer noch um. Wenn ich mich an diese Weisheit halte, läuft mein Leben in guten, gesegneten Bahnen. Falle ich aus dieser heraus, aus Ungeduld oder Verführung, wird alles falsch. Auch nicht schlecht, wir müssen ja den Unterschied kennen lernen bis ins Mark. Weil der andere Weg, der aus Begeisterung, der mein Zen-Weg ist – nach dem Dichter-Weg! Und pädagogischen Weg – auch seinen Tribut fordert.

Was? Ja, natürlich?
Gerade Berufungen fordern ihren Preis, dessen Währung Hingabe, Geduld, Verzicht, Durchhalten, Ungewissheit ist. Die weniger Male, wo ich für Geld (wegen des Haupt-Argumentes: Geld) gearbeitet habe, führten direkt nach unten. Ich muss davon abraten. Mir wurde aufgetragen, aus Begeisterung und Liebe und Liebe zu arbeiten.

Ich bin sehr sicher, dass Zen Meister Dogen das auch tat. Ich spüre es einfach. Er hat getan, was er musste. Er ist seiner Natur gefolgt.