Als Erstes natürlich die Ankunft in dieser quirligen, alten Stadt: Am Flughafen die Bar mit dem lang gestreckten Tresen, daran stehend oder sitzend eine Mischung aus italienisch sprechenden Geschäftsleuten, Arbeitern und Arbeiterinnen, reisenden Erwachsenen und ein paar Jugendlichen und Kindern.

Manche erfrischen sich nach oder vor der Reise, nehmen ein erstes oder zweites Frühstück ein oder lassen sich Proviant einpacken. Ich muss sagen, die süßen Teilchen und die sorgfältig belegten „Panini“ sehen sehr appetitlich aus, und die Stimmung hinter dem Tresen ist so gut, dass auch blinde Nichtitaliener merken würden, dass sie in Italien sind.

Gerade, als ich mir den Cappuccino und ein Croissant zusammen mit dem „Corriere della Sera“ geholt und mich an einen der kleinen Tische gesetzt hatte – die Busfahrkarten für den „Pullman“ nach Palermo Innenstadt hatte ich schon gekauft –, erschien die vertraute Silhouette meiner Schwester Sabine, die ein wenig später als ich aus Stuttgart abgeflogen war. Was für ein törichter und gleichzeitig so inspirierender Luxus! Wir lagen uns bald in den Armen, und nun war es Sabine, die sich in die Schlange stellte mit Zugriff auf die Köstlichkeiten, während ich unsere Koffer hütete und mein Glück, auf Sizilien zu sein mit dem vielleicht zweitliebsten Menschen, meiner Schwester, kontemplierte.

Unser Glück wurde vom ersten bis zum letzten Tag kaum getrübt, nur ein wenig auf die Probe gestellt, ein paar Mal, was uns aber Anlass zum Austausch von belebenden Ansichten und Einsichten war. Die Fahrt mit dem Bus durch die Außenbezirke Palermos, die uns beide an Madrid, die Abenteuerstadt unserer Jugend und Kindheit, erinnerte, war schon herzöffnend. Ferienwetter. Der Flughaften liegt direkt am Meer, von dem wir wegfuhren. Der Himmel in einem Blau, das es in Mitteleuropa nicht geben kann. Palmenalleen und, ach, diese manchmal heruntergekommenen Bauten, die ich mag, sogar liebe, dieser wilde Verkehr, der jede und jeden zum Wachsein zwingt. Später würden wir über verfallende Häuser diskutieren.

Wir wurden schon erwartet, in der Straße hinter der normannischen Kathedrale, mit vom Laufen der Menschenmassen spiegelglatt polierten Pflastersteinen. Die Vermieterin und ihr Freund erwarteten uns schon, und schnell nahmen wir unsere Wohnung im ersten Stock, bestehend aus einer voll eingerichteten Wohnküche und einem Schlafzimmer, zwei kleinen Balkonen und einem herrlichen Bad, in Beschlag. Mir reichte das hinzugestellte Bett in der Küche. Wir hatten nicht vor zu kochen. Von dem einen Balkon blickte man in eine antike Ruine, von dem anderen konnte man schräg links genau den kleinen Laden sehen, der uns empfohlen wurde, weil irgendein „cugino“ dort arbeitete. Dort konnten wir Wasser kaufen und morgens frühstücken. So führte uns unser erster Ausflug direkt dorthin. Warm wurden wir empfangen, vor allem von Pepe, einem älteren, zäh wirkenden und freundlich lächelnden Mann, mit Schiebermütze. Er sollte bald unser Freund werden.

Es stellte sich heraus, dass Pepe Frau und Tochter hatte, deren Verbindung zum Schwiegersohn er respektierte, aber auch kritisch sah. War dieser wirklich ganz aufrichtig und arbeitsam? Wir weihten einander, die Zungen gelöst unter südlicher Wärme, in wichtige Familien- und andere Verhältnisse ein. Pepe konnte großartig zuhören und … besaß eine Menge an Menschenkenntnis, Lebenserfahrung und Weisheit. Er hatte gelernt, mit sehr wenig auszukommen, Gelegenheitsjobs anzunehmen, wie jetzt zum Beispiel, den Parkplatz nebenan zu hüten. Unser erster Freund lehrte uns, wie arm Sizilien war und ist. Als Tourist kann man, wenn man will, nur die offiziellen Wege gehen und wird kaum konfrontiert mit der harten Arbeit der Bauern zum Beispiel, die bis ins letzte Jahrhundert weder Maschinen noch Autos kannten. Der Boden Sizilien ist sehr fruchtbar, erfuhren wir. Der Pferde- oder Eselskarren gilt als Wahrzeichen der großen Insel. Ich glaube, mich zu erinnern, dass der Verdienst erschreckend gering war, was der unbedingten Würde dieses Sizilianers keinen Abbruch hat, ganz im Gegenteil. Mehrfach war ich ehrfürchtig erstaunt, wenn ich hörte, wie jemand lebte oder gelebt hatte und mit welch großer Selbstverständlichkeit dies geäußert wurde. Nicht wenige Sizilianer sind ja auch emigriert, was wir auf Fotos im „Ecomuseo MareVivo“ noch sehen würden: Nicht alle hielten der Armut stand, sondern versuchten, die Plackerei ihrer Familienmitglieder zu erleichtern und den Kindern bessere Chancen zu bieten.

Sizilianer finden immer einen Weg, einem eine Freude zu bereiten. Einmal mussten wir Nachschub an Wasser kaufen. Sabine, die gerade erst dabei war, Italienisch zu lernen, übernahm diesen Einkauf. In unserer Wohnung angekommen, besprachen wir den Preis: Dieser war so lächerlich, dass es einfach nicht sein konnte. Bis uns auffiel, dass wir permanent bevorzugt wurden, auf eine ganz unauffällige Art. Als der Ostersonntag näherrückte und damit eine Festlichkeit nach der anderen zu erleben war, erkundigten wir uns nach den Bräuchen in den Familien. Ein riesiges Osterei musste es sein, für die Enkelin. Ich erfuhr, wo genau es dies Osterei zu kaufen gab und wie teuer es war. Denn Pepe wollte nicht das Geld geschenkt haben, als Osterüberraschung, sondern das Ei selber. Er machte das sehr elegant. Wir sollten dann das Geschenk im Laden abgeben. Die Enkelin muss ich sehr gefreut haben, hörten wir. Wir begannen, täglich öfter daran denkend, inspiriert von unserem Freund Pepe, der uns auch eine Art Lebensberatung zuteilwerden ließ, selber einfacher zu werden, einfacher zu denken, unkomplizierter zu schenken.

Buddha hätte sich hier wohlgefühlt, und seine Lehre über Freundlichkeit, Mitgefühl, Bescheidenheit muss hier schon auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Und Räume der Stille gab es reichlich: Die Dichte der Kirchen in Palermo ist unbeschreiblich hoch. In der Zukunft sehe ich noch eine neue Synagoge sowie Moscheen. Vielleicht braucht Palermo noch ein paar mehr Touristen, Sozialaktivistinnen, Friedensstifter, die Metta praktizieren: Sizilien mit liebender Güte beglückend.

 

Bild © Monika Winkelmann