Die 2. Disziplin: Bereuen-Erkennen-benennen-bekennen/gestehen-um Verzeihung bitten

Seit ich mich mit der 1. Disziplin „Danken“ auf einen tiefen Prozess der Erforschung eingelassen habe, hat sich auch da noch viel bewegt. Heute würde ich das Bitten dazu nehmen, weil es genauso wichtig ist und einander bedingt. Ich hatte Beides voneinander getrennt, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Danken vor dem Bitten kommt. Doch das ist wieder eine Philosophie für sich.

Die 2. Disziplin wurde dann noch komplexer. Ganz am Anfang stand auf meinem Papier nur „Bereuen“, weil ohne die herben Empfindungen der Reue ergeben Bekennen und alles weitere (um Vergebung/Verzeihung bitten…) keinerlei Sinn bzw. werden keine positive Wirkkraft entfalten.

Alles beginnt also mit der Reue? Möglicherweise. Es kann sein, dass wir viel öfter Reue empfinden, als wir es wahrnehmen, diese aber nicht als solche erkennen. Erleben tun wir dann nur das Trennende, Schmerzliche und eine undeutliche Scham.

Sind es dann Reue und Sehnsucht, wieder Verbindung zu schaffen, die uns den Weg zum „Bekenntnis“ bahnen? Oder eher zum „Geständnis“? Heute denke ich, dass es sich eher um den Prozess des Gestehens handelt („Du, ich muss Dir etwas gestehen…, neulich habe ich…“). Wir richten unseren Blick nach innen und gehen dem nach, was sich regt. Im stillen Sitzen, der formalen Sitz-Meditation, dem Zazen, das in unserer Schule „Shikantaza“ genannt wird, sind wir von nichts und niemandem getrennt. In der Welt des Mitgefühls, der Beziehungen, kann ich mitteilen, wie ich zum Schmerz oder zur trennenden Situation beigetragen habe. Vielleicht wollte ich einfach „nur“ im Recht sein, habe der anderen das Wort aus dem Mund genommen und es einfach umgedreht, geknetet und wieder zurückgegeben.

Unsere Mitmenschen, Liebsten und auch die, mit denen wir eher neutral verkehren, freuen sich über die Massen – so habe ich es oft erfahren -, wenn wir ihnen mitteilen, wo und wie wir fälschlicherweise gedacht und agiert haben, auf unseren Vorteil bedacht. Oder wir haben keine Antwort gegeben und das Ganze danach vergessen. Danach war es eine Zeitlang zu peinlich, überhaupt nur daran zu denken, und nun lässt es sich nicht mehr umgehen, mir richtig Zeit zu nehmen für diesen wunderbaren Menschen.

Ich gehe zurück zum Danken (Disziplin 1). Möglicherweise will der Mitmensch nichts mehr mit mir zu tun haben, nach so langer Zeit. Ich könnte es verstehen. Aber fast jedeR, der oder die nicht ganz zynisch geworden ist, erfreut sich an unverhofftem Dank. Mit Dank werde ich beginnen, mit Reue und Gestehen weiter gehen und um Verzeihung bitten. Durch die Arbeit an diesen sieben Disziplinen, die gerade auf sechs zusammen schmelzen, weil das „Um Verzeihung bitten“ eigentlich auch in die obige Reihe mit hinein gehört, räume ich meine Beziehungen auf. Leider muss ich erkennen, dass ich permanent jemanden vergesse oder vergessen habe. Ein Leben ohne den feinen oder grösseren Strom von Reue und Trauer scheint es gar nicht zu geben. Erschrocken danke ich für diesen kostbaren Moment der Einsicht.

Die Sieben Großen Disziplinen: Teil 2 - Reue, 14.10.2022
Die Sieben Großen Disziplinen: Teil 2 - Reue, 14.10.2022

Diese Disziplin prägnant auszudrücken, wurde seit der Zeit, in der ich mich intensiv mit diesem Thema beschäftigte, immer schwieriger. Seitdem jongliere ich mit verschiedenen Begriffen und Stufen der Erkenntnis.

Nachdem ich den Vortrag gehalten hatte, war ich unzufrieden. Gehört denn nicht Reue in diesen Punkt hinein, ja, ist Reue nicht DIE auslösende Empfindung, um überhaupt auf die Idee eines Geständnisses zu kommen? „Gestehen“ finde ich alltäglicher als „bekennen“. Aber auch dies kam mir erst nach dem Vortrag. Ich werde wohl tatsächlich kurze Workshops zu den Begriffen anbieten, denn alleine mit mir zu bleiben, finde ich unbefriedigend, und ich werde und will nicht auf schlaue Bücher zurückgreifen! Dazu haben wir nämlich oft keine Lust, und wenn wir es dann doch tun, verschwindet oft unsere eigene Denk- und Forschungsfähigkeit.

Mein Resümee für heute sieht also in etwa so aus:

Wir spüren, vielleicht sehr subtil, dass ein bestimmtes Verhalten von uns selber nicht in Ordnung war gegenüber einer bestimmten Person. Vielleicht vermeiden wir den Kontakt, schauen ihr nicht mehr gerade in die Augen oder blicken irgendwie starr, beziehen sie nicht mehr mit ein … Das kann ich nicht genau wissen, kann nur über mich sprechen, dass ich mich immer unwohl fühle, wenn ich unter meinen Möglichkeiten geblieben bin. Ich sage bewusst nicht „unter meinen „Ansprüchen“, weil wir die ohnehin zu oft zu hoch ansetzen, so dass wir nicht anders als enttäuscht sein können über uns selber. Nicht, dass wir keine Ansprüche mehr haben sollten, die bringen uns ja vorwärts, aber wir dürfen wirklich nicht unsere Möglichkeiten vergessen und die unserer Mitmenschen.

Mit etwas Übung identifizieren wir, dass wir das Verhalten bereuen – es ist leider etwas aus der Mode gekommen, über Reue nachzudenken, ganz zu Unrecht. Selbst, wenn wir uns kaum mit ethischen oder moralischen Fragen beschäftigt haben sollten, werden wir Reue empfinden können, sind vielleicht nur ein wenig  ungeübt darin. Deshalb spreche ich von „ERKENNEN“. Wenn wir erkennen, dass etwas nicht in Ordnung ist, fragen wir uns nach dem Grund, d.h. wir BENENNEN es. Gehen auf die Person zu, nehmen den Telefonhörer zur Hand, wenn es sein muss, oder schreiben einen Brief. Marshall Rosenberg, ein begabter Konfliktforscher und -trainer würde sagen, wir sprechen jetzt aus der Beobachtung, mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Wir teilen unsere Erkenntnis, teilen sie mit. Oder ist mehr erforderlich? Das würde ich gerne im Miteinander erforschen. Wann teilen wir unsere Reue ebenfalls mit? Ohne egozentrisch dabei zu werden? Wann und wie bitten wir um Verzeihung/Vergebung/Entschuldigung? Worin bestehen – für uns! – die Unterschiede?

 

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