Bericht von Frank Luckner:

„Samstag, der 10. August 10 Uhr, es geht los mit unserem Straßenretreat. Ich hatte mich nicht geduscht, eine kaputte Jeans und ein altes T-Shirt angezogen. Als ich am Beethovendenkmal, dem vereinbarten Treffpunkt ankomme, ist Monika schon im Gespräch mit einem Bosnier, der auf der Straße übernachten musste, weil ihn seine Freundin nach einem Streit rausgeschmissen hat. Wir unterhalten uns noch eine Weile mit ihm und gehen dann zum Lubig um unser letztes Geld in Kaffee umzusetzen und in einen Pappbecher mit dem man betteln gehen kann. Nachdem wir ausgetrunken haben halten wir in der Hofgartenwiese ein Council ab und sitzen. Ich sitze noch eine Runde weiter während Monika schon einmal loszieht um sich ein wenig frisch zu machen. Dabei werde ich von zwei Frauen angesprochen, eine Mutter mit ihrer hübschen Tochter. Sie fragen ob ich eine Arbeit für sie hätte. Die selbe Frage stellte mir vor einiger Zeit auch eine Obdachlose. Bei ihr war mir klar, dass sie bereit war sich zu prostituieren. Bei der hübschen Tochter dachte ich dann sofort das Gleiche. Aber Geld hatte ich eh keins dabei, auch keine Bankkarte oder Handy. Da brauchte ich gar nicht nachzudenken und auf dumme Gedanken kommen. Nachdem ich den beiden Frauen versichert hatte, für zwei Tage auf der Straße zu leben und nichts wertvolles dabei zu haben zogen sie davon. Ich blieb alleine zurück mit dem Gedanken, dass man ohne Geld oder Besitz auch nicht helfen kann. Schließlich zog ich los um Monika wieder zu treffen. Unterwegs traf ich Michaela, eine Obdachlose und Drogenabhängige. Es ging ihr sichtlich sehr schlecht. Erstaunlicherweise wusste sie schon wer ich war. Monika hatte sie kurz vorher getroffen und versprochen ihr etwas zu essen zu bringen und dabei von mir erzählt. Monika traf ich dann beim VfG in der Quantiusstraße wieder. Inzwischen musste ich auf die Toilette. Dummerweise war das Klo beim VfG defekt, so dass ich noch warten musste. Wir gingen dann in die Stadt um zu betteln. Davor hatte ich am meisten Angst, noch mehr als vor Hunger. So hatte ich beschlossen zuhause noch etwas zu essen und einen Kaffee zu trinken. Am Uni-Grill bekommen wir nichts. Wir bettelten bei Mr. Baker und werden zum Chef geschickt. Er verspricht uns nach Ladenschluss etwas zu essen zu geben und bekommen anstandslos zwei Brötchen. Ich bettle dann beim Kamps und bekomme von der etwas belustigten Bedienung zwei Kaffee und ein Franzbrötchen welche wir am Eingang der Bonn-Information verzehrten. Zufällig treffen wir den Leiter der Bonn-Information als wir auf der Treppe herumlungern. Er gibt uns nachdem wir uns unterhalten hatten eine Karte, mit der Information wie man zur Bonner Tafel kommt. Ich beschließe dort hinzugehen. Allerdings umsonst. Die Tafel hatte geschlossen. Eine Stunde Fußweg umsonst. Auf dem Rückweg finde ich aber noch ein paar interessante Bücher in einer Bücherkiste und gehe noch beim Kamps in der Sterntorbrücke vorbei. Kamps schien ja keine schlechte Adresse für Bettler zu sein. Diesmal werde ich jedoch sehr freundlich abgewiesen. Der Bedienung ist es allerdings verboten etwas zu essen herauszugeben. Dies wird sogar von einer Kamera überwacht. Danach bettelte ich noch im Cafe Orange und bekam problemlos ein Sandwich und einen Keks. Mit Monika hatte ich mich am Springbrunnen am Kaiserplatz verabredet. Ich wartete allerdings am Springbrunnen unten am Busbahnhof und Monika oben am Kaiserplatz. Nach einer Weile bemerkte ich meinen Fehler und traf Monika am vereinbarten Treffpunkt. Wir hielten noch ein Council ab und saßen eine Weile. Dann wollten wir Michaela wiedertreffen, sie war aber nicht wie vereinbart an der Unterführung am Busbahnhof. Danach wollten wir für das Abendessen sorgen und gingen in die Innenstadt. Dabei trafen wir ein Paar von der Vereinigungskirche das Monika vom interreligiösen  Dialog kannte. Wir tauschten unsere schrecklichsten Erlebnisse aus und bekamen das Versprechen später, nachdem sie einkaufen gegangen waren, etwas zu essen zu bekommen. Von einem syrischen Flüchtling, der Monika ebenfalls bekannt war bekamen wir dann noch Geld und etwas zu trinken. Er war sichtlich glücklich Bedürftigen auch etwas geben zu können. Wir gaben einem anderen Flüchtling etwas von unserem Geld ab und das Sandwich das ich im Cafe Orange erbettelt hatte. Anschließend tranken wir in der Remigiusgasse unsere Apfelschorle. Der syrische Flüchtling, dem wir einen Teil unseres Geldes gegeben hatten überließ uns aus Dankbarkeit ein paar von seinen gesammelten Flaschen.  Anschließend gingen  wir zum Treffpunkt mit dem Paar von der Moonsekte. Wir waren etwas zu spät, hatten aber Glück, dass der Mann noch wartete. Wir bekamen jeweils eine Salatbox vom Cassiusgarten. Welch ein Luxus und zu allem Überfluss hatte der Chef vom Mr. Baker uns ja auch noch etwas zu essen versprochen. Wir gingen also zum Mr. Baker und mussten noch etwas warten. Monika hatte die Idee beim Cafe-Bistro Midi aufs Klo zu gehen. Endlich! Beim Mr. Baker bekamen wir dann 9 belegte Sandwiches und Brötchen. Ganz schön beschämend, schließlich hatten wir schon genug zu essen. Den größten Teil davon mussten wir dann verschenken. Wir aßen dann zu Abend. Ich brachte dann noch die gesammelten Flaschen weg; nochmal 1 Euro und 40 Cent in unsere Taschen! Dann suchten wir einen Platz zum schlafen. Beim VfG hatte man uns die Kreuzkirche nahegelegt. Wir fanden dort auch einen etwas geschützten Platz und versuchten es uns gemütlich zu machen. Gar nicht so einfach ohne Isomatte. Aber immerhin hatten wir einen Schlafsack. Wir saßen und hielten ein Council. Die Nacht war dann sehr hart. Abwechselnd hielten wir Wache, da wir uns vor Ratten fürchteten. Zudem war es Samstagnacht und die Party war überall voll im Gange. Es war unerträglich laut. Ein Bettler der sich zu uns gesellt hatte flüchtete vor Lärm und Kälte in die U-Bahn.

Am morgen ging ich zuerst zu McDonald’s holte Kaffee für einen Euro und ging dort auch aufs Klo. Ich machte noch einen Abstecher zum Alten Zoll um den Sonnenaufgang zu sehen. Die Sonne ging genau über der Kirche in Beuel auf. Zugleich traf der Koch im Biergarten schon Vorbereitungen. Bei uns gab es zum Frühstück unsere restlichen Sandwiches vom Mr. Baker. Die übrigen Sandwiches verteilten wir an Bettler. Nach Sitzen und Council im Hofgarten gingen wir zum Prälat Schleich Haus. Michaela war auch da, aber sie schien uns nicht zu bemerken. Wir erkundigten uns ob man hier am Sonntag etwas zu essen bekommen kann und wie es den Leuten dort ging. Aufgrund vieler ausländischer Bettler war die Stimmung allerdings sehr aggressiv. Daher gingen wir bald zum alten Friedhof, hielten noch ein abschließendes Council und beendeten das Retreat.

Im Rückblick war das Straßenretreat mit zwei Tagen zu kurz. Ich hatte keine große Angst vor Hunger. Ich war auch nicht so verlottert, dass ich mich wegen meines Aussehens geschämt hätte und so war da auch keine große Angst in Geschäften zu betteln. Dazu war uns schon mit einer Flasche Apfelschorle oder einem Sandwich zu helfen. Wir hatten ja keinen Bedarf an Alkohol oder Drogen (nur Kaffee ;-)). So ist uns fast überall freundlich geholfen worden und das Retreat erschien mir eher als Befreiung von der Last des Alltags. Kein Handy, keine Email und kein Internet zu haben und keinen Termin der auf einen wartet bringt ziemlich viel Gelassenheit ins Leben. Außerdem war ja auch noch Monika da. In meinem Alltag bin ich oft alleine, auf der Straße hatte ich angenehme  Gesellschaft. Ein „normaler“ Obdachloser hat diese Bedingungen natürlich nicht. Für Ihn sieht das Leben viel bedrohlicher und daher auch unangenehmer aus. Dies kann man mit einem zwei Tage Retreat sicher nicht ermessen.“