Schenk’ mir reinen Wein ein, sagt man. Wieso eigentlich nicht ‘reines Wasser’? Ist das eine Anspielung auf echte Gastfreundschaft, bei der nur das Beste geteilt wird?

Der letzte Gedanke gefällt mir. Nur das Beste miteinander teilen, wie anspruchsvoll! Oder ist alles, was ich gebe, mein Bestes, so wie man von Eltern sagt, sie hätten ihr Bestes in der Erziehung gegeben? Dabei genau wissend, dass das Beste manchmal darin bestand, gerade zu überleben? Unterschätzen wir es, überlebt zu haben?
Ich glaube, ja. Wie viel Lebendigkeit erlebte ich in den Tagen auf der Strasse, als es um Essen, Trinken, sicheres Schlafen, die nächste Toilette ging? Plötzlich ist es ganz leicht, etwas zu essen, was ein paar Tage früher unmöglich gewesen wäre: Angefaulte Erdbeeren. Kaffee, nicht Cappuccino, wie eine Köstlichkeit zu erleben. Irgendein Essen, an das ich mich schon gar nicht mehr erinnere, auf einer niedrigen Mauer sitzend, genießend.
Reines Wasser, das aus den öffentlichen Brunnen von Paris sprudelt: Über die schmutzigen Hände und Füsse laufen lassen, ins Gesicht spritzen, den Nacken, die Unterarme nass machen. Die Wasserflasche auffüllen.
Bitte schenk mir reines Wasser ein, keine Aromen, kein Gas, kein abgestandenes. Früher war Wein das Besondere für Gäste. Heute ist gutes Wasser zum Gut geworden, zu dem viele Menschen schon keinen Zugang mehr haben. Sie müssen sich mit Wasserstellen und Flüssen mit vergiftetem Wasser begnügen. Eine Weile überlebend, aber gefährdet durch Schadstoffe.
Halbwahrheiten, Lügen, Drumherumreden, Verschweigen…wirken wie trübes Wasser, durch das der Organismus geschwächt wird.
Das trifft für vermeintlich kleine Lügen wie für die ganz großen zu.
Reines Wasser, reine Luft – zu edlen Kostbarkeiten geworden, kostbarer als Gold. Der Krieg um diese Güter ist in vollem Gange.
Begreifen wir das Ausmass? Wie stellen wir uns dazu?