Kommentar zum Dharma-Vortrag zu weiteren drei Kapiteln aus dem Buch “choosing compassion” von Anam Thubten, gehalten von Norman Fischer *) am 17.06.2020

Mir ist bewusst, dass ich eigentlich mit Norman Fischers erstem Vortrag von vor einer Woche hätte beginnen sollen, der sich auf die ersten drei Kapitel des genannten Buches bezogen hatte. Jedoch halte ich es für nützlicher – wenn dies überhaupt gelesen wird -, direkt zu beginnen, anstatt dann bis zum nächsten Buch oder Zen-Vorfahren zu warten, welche dann für eine Zeit im Mittelpunkt der Vorträge stehen werden. Dazu ist der Gewinn zu groß, den die Lektüre, vielleicht auch die Vorträge, bringen können. Lernen wir denn nicht alle auf Konzepte von Vollständigkeit, Genauigkeit u.ä. gegebenenfalls zu verzichten, wenn uns andere Qualitäten als gegeben erscheinen? Der Titel des Buches sagt es ja, wie es auch der Name der Sangha “everydayzen” zum Ausdruck bringen will: Es geht hier nicht darum neue, kaum erfüllbare Postulate aufzustellen, die entweder Spannungen, Heuchelei sogar vor sich selber oder die Nähe zum Burnout erzeugen können. Vielmehr soll es darum gehen, wie wir unsere Wahlfreiheit vergrößern, unsere Aufmerksamkeit für das, was uns künstlich einengt schulen, kurz: Unsere aufrichtige Liebe für das, was real da ist oder nicht da ist, zum Ausdruck bringen können. Zu verzeihen ist soviel leichter möglich, wenn wir uns in die Schuhe des Anderen begeben können – das will und kann geübt werden, wie jede andere Kunst -wenn wir verstehen, wie es zu etwas kommen konnte. Irgendwann stellen wir irritiert oder erschüttert fest, dass wir nicht mehr (ver-)urteilen können, selbst wenn es uns früher oft kurzfristig erleichtert hatte. Wir verstehen uns und den anderen/ die andere.

Eigentlich ist es zum ersten Mal, dass ich jemandem Glauben schenken kann, der uns auffordern möchte dem eigenen Geist nicht zu glauben. Das sind Anam Thubten und – vermittelt durch ihn – Norman Fischer.
Der tibetische Lehrer und Buchautor ist so geschickt, dass er diesen sehr wichtigen Sachverhalt vernünftig, d.h. nachvollziehbar und so dass man sich nicht wie ein sturer Idiot vorkommen muss, der an Kleinigkeiten wie der Wahrheit seiner Wahrnehmung hängt, erklären kann. Norman Fischer führt diese Feststellungen aus und veranlasst uns zu Übungen, die uns verdeutlichen wie es innen, in uns aussieht, wenn wir eine Pause machen. Was stets leichter klingt, als es ist.

Anam Thubten: “Buddhist teachings say that all of our problems come from unawareness, from not being aware of how things really are. In that sense meditation is about creating a pause in our consciousness.” (S.10) (Auf Deutsch: Buddhistische Lehren sagen, dass all unsere Probleme von Unachtsamkeit herrühren, davon, nicht gewahr zu sein wie Dinge wirklich sind.)

Er fährt an anderer Stelle fort – und den Satz hatte ich mir zum Einbringen in unsere Kleingruppe ausgesucht -: “Our hearts can become closed, and we are not able to experience all-pervasive sacredness, the sacredness of everything that exists, the sacredness of each and every being in this universe.” (S. 11). (Auf Deutsch: Unsere Herzen können sich verschließen, und wir sind nicht fähig, die alles-durchdringende Heiligkeit zu erleben, die Heiligkeit alles Seienden, die Heiligkeit jedes einzelnen Wesens in diesem Universum.”)

Wir werden nach den Dharma-Vorträgen immer in Kleingruppen eingeteilt, in denen jede*r meist 3 Minuten zu einem Satz, Begriff oder allgemein zu dem was in ihr/ihm gerade lebendig ist, zu sprechen. Derartige Übungen sind mir sehr vertraut, doch bislang kaum oder sehr selten im Zusammenhang mit Dharma-Vorträgen angeboten worden. Dabei meine ich, dass diese so viele Vorteile – oder sollte ich sagen: Segnungen – mit sich bringen, dass es gar nicht mehr zu verstehen ist, warum Lehrer*innen nicht mehr Gebrauch von diesen anregenden Tools machen. Wir erfahren, dass Jede*r Jede*n andere*n befruchtet, dass wir selber denkend und fühlend sind und ohne Weiteres Sinnhaftes in drei oder mehr Minuten von uns geben können. Wir lernen einander kennen, erfahren ganz andere Sichtweisen, fühlen uns tiefer gehört, gesehen und genährt und können dasselbe auch geben.

Wir bilden ein lebendiges Feld. Riskante Bekenntnisse zum Thema “Rassismus” wurden abgelegt und bezeugt. Welchen Wolf füttern wir? Denjenigen, der zubeißt wenn er Angst hat? Oder den anderen, sanfteren? Wenn wir Pausen machen, im Jahr, im Monat, in der Woche, am Tag, im Satz, dann glaube ich, können wir sowohl unsere Gemeinschaft mit allen Wesen erleben, d.h. unser Potential zum Guten wie zum Schrecklichen, aber auch steuern lernen den sanfteren Wolf zu füttern. Der nicht einfach nur einen Schafspelz umgelegt hat, sondern der seine Wolfsnatur zähmt, geduldig, kenntnisreich, aufmerksam, und der dadurch warmherzig und barmherzig auf die Angst der Wesen schauen kann. Er muss sie nicht länger ausbeuten.

*) Ich habe jetzt die ersten drei Kapitel mit dem Vortrag zu den zweiten drei Kapiteln vermengt. Vielleicht komme ich ab nächster Woche “in den Tritt”, ich nehme es mir vor. Lesen Sie/ Lies doch mit!
Noch ist das Buch nicht übersetzt, aber es lässt sich leicht lesen. Wer den Vortrag von Norman Fischer, Dichter, Schriftsteller, Zen Priester, hören möchte: www.everydayzen.org.