Auch nach fast dreißig Jahren „Lehrpraxis“ im Kreativen Schreiben werden mir die sogenannten Anfänger*innenkurse nicht langweilig. Im Zen sind und bleiben wir ohnehin alle Anfänger. Das liegt wohl in der Natur von Wesen, die sich zum Schlafen hinlegen und wieder aufwachen (hoffentlich!). Mit jedem Aufwachen fangen wir neu an. Mit jeder neuen Seite, die wir aufschlagen, beginnen wir neu. Wie die Fingerübungen am Klavier, die Aufwärmübungen bei allen Arten von Sport, so sind die „Kleinen Formen und einfachen Schreibtechniken“ nach Lutz von Werder einfach unentbehrlich. Ob ich, einfach um ins Schreiben zu kommen, ein Wort Elfchen schreibe oder eines an den Anfang meines Fachartikels stelle oder meine autobiografische Reflexion damit beende: Immer ist es Übung und Ziel zugleich, denn eine derartige Schreibpraxis hält den Geist geschmeidig, erzieht mich zum Improvisieren und zum festen Glauben, dass ich in kurzer Zeit innerhalb der Sicherheit einer Form genau das zum Ausdruck bringen werde, was dran ist. Was obenauf liegt. Oder was in der Tiefe schlummert. Alles kann richtig sein, es gibt kein Falsch. Falsch wäre es nur, sich zu zieren und nichts zu Papier zu bringen. Immer ist etwas da, man muss nur hinhören lernen.

Das also zu den „Fingerübungen“, die für Anfangende und Erfahrene gleichermaßen wichtig sind. Was aber, wenn ein längeres Projekt verfolgt wird? Zu den Projekten zählt übrigens auch, dass ich regelmäßig schreiben will und es nicht tue. In diesen Fällen hilft nur, wie beim Meditieren, eine Praxis. Anders als beim Meditieren muss diese nicht so regelmäßig sein, denn wir sind alle verschieden, und unser Leben ist es auch. Wir möchten ein Rezept haben, aber das gibt es nicht. Es gibt nur die Erfahrungen von anderen Schreibenden, und die ähneln sich.
Man beginne mit dem richtigen Schreibpapier, Schreibheft sowie mit dem richtigen Schreibgerät. Für die eine ist es der Block, den man bei Aldi oder Rossmann findet, zehn Stück zu 3,50 €, und der Kuli, den man bei der Sparkasse gratis bekommt. Für den anderen muss es das ledergebundene Heft sein, das DIE ZEIT anbietet, samt edlem Füller. Was du auch wählst, es muss stimmen, es soll nur eins: dich zum Schreiben animieren. Ich würde übrigens nicht (immer) in den Computer schreiben, was man ja schon an meinen Vorschlägen sieht. Probiert es aus, was besser funktioniert, was euch Freude und Glück, Intimität mit euch selber schenkt. Was die Künstlerin, den Künstler in euch nährt.
Und dann nehme man sich den Wochenkalender vor, aber nicht streng, sondern beherzt: Was steht spontan vor deinem geistigen Auge, welcher Termin MIT DIR kommt infrage? Dieser Termin hat Vorteile, wenn er regelmäßig stattfindet. Deine Seele gewöhnt sich daran und entbehrt ihn, wenn er fehlt. So weit soll es kommen. Jedoch gilt, bevor du gar nicht schreibst, dass jeder Termin der richtige ist. Jeder Ort auch. Der Schreibort ist für die meisten auch nicht unwichtig, hier wurde schon vieles ausprobiert, wahrscheinlich annähernd alles, nur noch nicht DEIN Schreibort! Zu Hause empfiehlt es sich, ungestört sein zu können, was für ein eigenes Zimmer spricht. Mit Anfängerinnen beginnt hier meist ein längerer Prozess, da wir modernen Frauen immer noch wie Virginia Woolf in unseren selbst gegründeten Familien eher im Schlafzimmer oder am Küchentisch schreiben als im Arbeitszimmer am Schreibtisch unserer Wahl. Frau lese das Buch „Ein Zimmer für mich allein“ von Virginia Woolf und ergötze sich auch an dem Kapitel, wo es um die monatlichen 500 Pfund geht. Man erkennt messerscharf, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.

In den Kalender wird also eingetragen, am besten im Beisein von Weg Gefährtinnen und Weg Gefährten als Zeugen, wann du für diesen Ort der Stille sorgst und wie. Und wann du deine Treffen mit dir selbst terminierst, und welche Orte du dafür auswählst. Schon immer wurde gerne in der Natur und in Cafés geschrieben, in Klöstern und Zügen, auf Bierdeckeln und Papierfetzen, in Bücher hinein und auf der Rückseite von Dokumenten. Bitte schaue außerdem, wann du dir im Verlauf eines Monats ein paar Stunden gönnen wirst, und ob du nicht viertel- oder halbjährlich, vielleicht im Wechsel, eine Schreibgruppe aufsuchen willst und/oder die Einsamkeit, um von einem ganzen Tag bis zu einer Woche oder mehr an einem Stück schreiben zu können. So lassen sich Schreibprojekte entwerfen (visualisieren), beginnen, durchführen und beenden.

Persönlich stehe ich auf der Kombi von Stille, Natur und Schreibgruppe bzw. Alleineschreiben. Dem Alltag mit seinen Rufen nach diesem oder jenem entrückt – man will an nichts und niemanden erinnert werden –, streife ich, wie eine Katze, durch die Zimmer, die Landschaften innen und außen wie durch die Räume meines Geistes. Es atmet, es fließt.