Wir haben heute Gebete geschrieben, Texte, die wir auch in einer Lesung auf dem Marktplatz zum Besten geben wollen.

JOANA SALOMOM, Medizinstudentin, höheres Semester
“Lieber Gott, täglich lebe ich hier, aufgewachsen im absoluten Wohlstand. Immer satt, immer warm, immer behütet, der nächste Supermarkt keine 500m entfernt und die Auswahl größer als Wahnsinn. Sorgen um meine existenziellen Bedürfnisse kenne ich doch gar nicht. Und ich leide. Ich denke, ich bin nicht gut genug in jenem, brauche mehr von diesem, möchte schöner sein, sportlicher, erfolgreicher. Und gleichzeitig sind da Menschen, die so viel existenzieller leiden und ich schäme mich so. Ich schäme mich, dass sich meine eigenen Probleme oft trotzdem so viel näher, größer, wichtiger anfühlen. Ich schäme mich, dass ich nicht mehr tue, um zu helfen und zu dienen. Ich schäme mich, dieses Leid gar nicht fassen und nachempfinden zu können und es oft auch gar nicht zu wollen.
Lieber Gott, kann es sein, dass diese Scham dein Weckruf an mich ist? Dass du die Weisheit in mir bist, die erkennt, dass es einen Weg gibt, der vor allem auch meine eigenen Probleme löst? Und zwar, meinen Fokus auf das Wesentliche zu lenken: Wie kann ich helfen? Wo kann ich beitragen, geben? Wo kann ich Kraft spenden, mich hingeben für etwas Größeres, Höheres, um mehr Verbundenheit und Gemeinschaft in die Welt zu bringen?
Lieber Gott, bitte hilf mir, mich immer wieder daran zu erinnern, worin auch mein wahres Glück besteht. Im Helfen, im Dasein für mich und andere, ich möchte dass dein Wille durch mich fließen kann. Und gib mir die Kraft, alles, was mich so hartnäckig davon ablenken will, als genau das zu erkennen: eine Ablenkung, die mir noch nie wirklich Erfüllung bringen konnte. Sondern immer nur die Hoffnung darauf, dass irgendetwas irgendwann besser für mich wird, wenn ich nur erfolgreicher, schöner, oder was auch immer wäre. Es ist so leicht, dem Glauben zu schenken.
Lieber Gott, bitte lass meinen Glauben an dich in mir größer sein, sodass ich das Leiden so vieler Wesen spüren kann und da sein kann mit meiner Aufmerksamkeit, meiner Liebe.”

ANNE SCHURZ, Mitglied der “Kleiner Tempel Sangha”, schreibt bei der letzten Cappuccino-Meditation
“Moria brennt – und dieses Mal wirklich. Was lange geschmort hat, ist nun nicht mehr zu bremsen. Für mich sind diese Zustände unvorstellbar, weil ich niemals in einer annähernd solchen Situation war.
Auf eine vielleicht komisch anmutende Weise macht mich diese Eskalation der Situation, die ja schon lange – eigentlich immer schon unhaltbar war, auch hoffnungsvoll. Denn jetzt MUSS doch etwas passieren, oder?!
Sicher, ob das eintreffen wird, bin ich mir nicht. Sicher, ob das nicht nur ein weiterer Aufschrei bleibt, der nach einigen Tagen wieder vergessen wird. Also heißt es, den Aufschrei nicht verstummen zu lassen und endlich menschlich zu handeln. Die, die Macht haben, in diesem Fall Entscheidungen zu treffen, nicht aus der Verantwortung zu entlassen, sondern ihnen auf den Füßen zu stehen,bis es endlich wieder heißt “Wir schaffen das”, aber echt jetzt.
Es scheint mir fast schon altmodisch, diese Ideen von Grenzen und Nationalitäten über Menschenleben zu stellen. Dabei weiß ich sehr wohl, dass die auch in meinem Kopf ziemlich fest drinstecken. Aber es muss doch möglich sein, hier das einzig Richtige zu tun? Vermeintliche Regeln und Konsequenzen sein zu lassen und Menschen ein lebenswertes Leben zuzugestehen. Es tut mir Leid für die Menschen, die ohne sich selbst bewusst oder unbewusst zu belügen denken, das was in Moria passiert, sei richtig. Aus Angst oder sonst was.”

Ein Manifest – noch kein Gebet
(Cappuccino-Meditation v. 11.9.2020)
Aus der “Kleiner Tempel Sangha)
Monika Winkelmann
Heraustretend aus dem Kokon unserer Scham bekennen wir:
Wir fuehlen nicht hin, aus Scham.
Wir sprechen nicht aus, aus Scham.
Wir schlagen unsere Augen nieder, aus Scham.
Was hier in Europa geschieht, liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Schwestern und Brüder,
ist unsagbar entsetzlich.
Wir schämen uns als Europäer.
Wir schämen uns unserer Urlaube und unserer Sehnsucht nach diesem Blau.
Wir schämen uns, dass viele von uns die Idee “Urlaub” ueberhaupt normal finden. Auch ich fand das, Jahrzehnte lang.
Wir schämen uns unserer deutschen und europäischen Politiker*innen fuer Ihr/unser (mich eingeschlossen) erbaermliches Zeugnis an Kooperation und Fürsorge.
Wir glauben vielen Rednern, Politikerinnen nicht, dass es ihnen um echte Hinwendung, Linderung und substantielle Rettung aus Not geht.
In unseren Herzen sind wir verzweifelt, verstört, fuehlen uns entehrt, an der Nase herum geführt.
Dass so eine grobe Vernachlässigung geschehen koennte, konnte und kann, und dass es noch schlimmer kommen kann… man mag manchmal einfach nicht mehr… sein.
Wir waeren gerne bei Euch, bei Euch Griechen,, Italienern, Spaniern, die ihr so unendlich mehr
an konkreter Mitmenschlichkeit aufbringen musstet und müsst.
Was von uns Deutschen zum Beispiel gerne genommen wird, im Geist von Ausbeutung.
Dafuer schäme ich mich sehr.
Wir waeren gerne an logistisch wichtigen Orten, um Wasser, Tee, gutes Essen, Spielzeug und Medikamente, saubere Kleidung, Hygieneartikel an Euch zu verteilen.
Wir wuerden gerne an runden Tischen sitzen, mit Expertinnen in Sachen Menschlichkeit, kreative Pläne wuerden wir schmieden,
damit Ihr Euch gesättigt und sicher fuehlen und Perspektiven aufbauen koennt.
Wir wuerden so gerne zeigen, wie erschüttert und besorgt wir sind.
Zuviele sind wohl schon gestorben, verrückt geworden oder schwerst traumatisiert.
Wir bitten um Eingebungen, Mut, Entschlossenheit,
Kriege zu beenden,
unser Leben, unseren Wohlstand mit Euch zu teilen, Bequemlichkeiten zu opfern.
Wir bitten unsere deutschen Freunde, sich uns anzuschließen.
Herzenswaerme und Intelligenz: Moegen Sie praktisch werden.
Deutschland darf ruhig vorangehen, wenn andere Länder ihre Herzen und Länder schliessen.
Wir haben gesprochen.
Amen.
Insch’allah.