Durch die wachsenden Erkenntnisse über die transgenerationelle Weitergabe von Traumata – und auch von Resilienz, muss man wohl sagen – sowie aus systemischer Arbeit und neueren Verfahren wie Aufstellungsarbeit (Familienaufstellungen, Systemaufstellungen) haben sich therapeutische und sogenannte spirituelle Erfahrungen und Weisheit einander angenähert.
Ich spreche hier aus eigener Erfahrung sowohl als Klientin, Patientin, Teilnehmende wie auch als langjährige professionelle Gruppenleiterin und spirituelle Begleiterin.
Am meisten habe ich in den Begegnungen selbst – auch die Beziehung zum Feld, zum System – gelernt. Aber natürlich auch durch Unterfütterung in entsprechenden Aus- und Weiterbildungen, Selbsterfahrung und Evaluation in Gruppen, Seminaren, Kunsttherapie, durch das intuitive Schreiben, das uns in seiner Weisheit immer einen Schritt voraus ist – oder sogar mehrere Schritte. Nicht zuletzt verdanke ich das Allermeiste meiner Tochter und meinem geschiedenen Mann sowie der Offenheit der über tausend Teilnehmer*innen an meinen Seminaren, Kursen, Gruppen und Langzeittrainings und dem mir entgegengebrachten Vertrauen, das mich bis heute rührt und tief erfüllt.
Buddhismus belehrt uns über das schwierige und manchmal leicht eingängige Feld von „Karma“, und ich gestehe, dass ich hier auch nach Jahrzehnten buddhistischer Praxis noch am Anfang stehe. (Wie wir ja wirklich und wahrhaftig immer am Anfang stehen, wie mein geistiger Lehrer Shunryu Suzuki Roshi in seinem Klassiker „Beginners‘ Mind“ aufzeigt.) Es erscheint mir nicht mehr überzogen, von „beginningless past“, das heißt einer „anfangslosen Vergangenheit“ zu sprechen beziehungsweise dies im sogenannten Reue-Gebet zu rezitieren. Wir brauchen ja nur an die Ketten von individueller und kollektiver Gewalt zu denken, die uns in erschütternder Weise seit Februar 2022 drastisch und brutal durch Ausbruch eines neuen (?) Krieges vor Augen geführt wird. Vielleicht aber ist der Ausbruch eines Krieges aus einer anderen Perspektive der Endpunkt gescheiterter Kommunikation. Wenn wir Kommunikation als Prozess von andauernder Verständigungsbereitschaft sehen. Wie aber steht es um unsere individuelle und kollektive Verständigungsbereitschaft?
Wie scheitern oder erblühen unsere individuellen Beziehungen, Freundschaften, Eltern-Kind-Beziehungen, kollegialen Bezüge, Familienbande? Erkennen wir es als zu pflegende Kunst an, uns um Verständigung mit uns selbst, das heißt unseren oft widerstreitenden Bedürfnissen und Absichten, und um unsere Nächsten aktiv zu kümmern? Machen wir eine Kunst daraus, mit schwierigen Mitmenschen ein Auskommen zu finden, ja sogar, „Kriegsbeile zu begraben“? Ich sehe ja an mir selbst, wie schwierig es ist, authentisch und gleichzeitig, bei aller Kritik und Verletztheit, genügend respektvoll und einfühlsam zu sein, sodass unsere jeweiligen Gegenüber überhaupt zuhören, wenn wir etwas sagen.
Spiritualität bemüht sich, wenn sie tief und echt ist, immer um eine höhere Ebene, eine weitere Perspektive, auch: um das Bewusstsein eines weitaus tieferen Beziehungsnetzes, als uns derzeit schon gegenwärtig ist. Solches Eingebundensein in ein ungeheuer komplexes Beziehungsnetz erfahre ich besonders während der formalen Sitzmeditation. Das ist, wie wir genau wissen, nicht immer nur beglückend, sondern kann auch sehr schmerzhaft sein. Nicht immer, aber immer wieder. Erstaunliche Bilder über meine Vorfahren in Kriegssituationen wurden mir in längeren Sesshins geschenkt. Bilder, die so unangenehm sind, dass sie sich irgendwo und irgendwie ins kollektive Unbewusste gesenkt haben. Ich „sah“ aber auch Szenen, Bilder erstaunlicher Liebe, Zärtlichkeit, Harmonie, dem tiefen Wunsch nach Ausgleich, Gerechtigkeit an Wochenenden der Familienaufstellung. Da legten sich „Täter“ zu toten „Opfern“ in „Stalingrad“, und die „Opfer“ konnten endlich ihre Augen schließen und Frieden finden. All diese abscheulichen Ereignisse, so erfuhr und lernte ich, sind in uns, in unseren Leibarchiven, eingelagert. Manche können, wenn die Zeit reif ist, erlöst werden. Intuitives Schreiben reicht weit in die Wurzelwerke unserer tiefsten Verbindungen und höchsten Sehnsüchte hinein – wir können, wenn wir es wagen, viel Licht ins Dunkel lassen.
Das ist jetzt nicht die Sprache Buddhas oder vielleicht doch. Eines Buddhas, der – oder die – die Möglichkeiten von tiefenpsychologischer und künstlerischer, expressiver Therapie und religiöses, spirituelles Wachstum nicht als einander ausschließend begreifen muss, wie es zu meiner Lebenszeit oft gesehen wurde. Die Erforschung von Ursachen und Wirkungen haben natürlich auch eine biologische, naturwissenschaftliche Komponente, die aus meiner Sicht jedoch zunehmend erforscht und betont wird. Deshalb und wegen mangelnder, einschlägiger Kenntnisse erwähne ich diesen wichtigen Bereich hier nicht.
Ich glaube, es würde unserer Gesellschaft guttun, wenn wir beides, nicht nur Sport und Musik, die ich für extrem wichtig halte, sondern kreative, psychotherapeutische Verfahren und kontemplative, spirituelle Übungen und eingängige Rituale schon in Kindergärten und Grundschulen etablieren würden, natürlich mit den Lehrern und Eltern zusammen. Mobbing und offene Gewalt, psychische Auffälligkeiten könnten wir so frühzeitig entschärfen und immer tiefer verstehen.
Unsere Verständigungsbereitschaft würde zunehmen. Eine solidarische, selbstbewusste, altruistische Gesellschaft könnte vorstellbar sein.