Die Heilige Hildegard von Bingen – Erste Deutsche Dichterin und Kirchenlehrerin
Vom 13.-15. April diesen Jahres reiste ich mit meiner buddhistischen Freundin und Schreibstudentin Teresa Jansen als einziger Teilnehmerin nach Rüdesheim. Eine Kleingruppe hätte ich mir vorstellen können, aber schließlich zu Zweit und für einen halben Tag zu Dritt zu sein, war richtig gut! Nachdem Teresa zur Nachbereitung mit einigen Wortelfchen sich selber und mir reinen Wein eingeschenkt hatte (siehe * unten), befragte ich mich auch noch einmal: Hatte ich mir etwas vorgemacht? Nach vier Monaten Abstand kann ich sagen: Nein. Ich bewunderte Hildegard von Bingen schon, bevor ich die länger geplante Pilgerfahrt endlich umsetzte. Mich begeisterten ihr Mut und Scharfsinn, ihre Kreativität und Eigenständigkeit. Seit Lisa Becker-Saaler und ich die Frauenschreibschule in einem Kloster anboten – dazu weiter unten mehr – drangen wir tief zur aus unserer heutigen Sicht teilweise Freiheit unserer schreibenden mittelalterlichen Schwestern vor: Wir, die wir ebenso hungrig auf Erkenntnis, eigene Forschung, Leben, Lesen, Lernen, Schreiben waren wie viele der Klosterfrauen. Das höchste Symbol ihrer Freiheit als Frau bestand in dem dicken Buch, das Hildegard statt des Jesuskinds im Arm hält (eine Statue) und zwei Statuen, die sie mit Feder – in der Hand und vor ihr liegend – zeigen. Heutige Frauen, darunter Lisa Becker und ich, verwirklichten leibliche UND geistige Mutterschaft. – Zum Glück bereute Teresa nicht unser Anliegen – wir hielten uns ja nicht nur in den Kirchen und Abteien auf!
Dass ausgerechnet der bekannt-berüchtigte Wein- und Touristenort am Rhein mehrere spirituelle Zeitzeugnisse der Heiligen Hildegard zu bieten hat, wusste ich bis vor kurzem gar nicht. Ich wäre wahrscheinlich in Bingen aus dem Zug gestiegen und hätte mich entscheiden müssen, ob ich erst in das Museum gehen würde — ich komme später noch einmal darauf zurück (**) – oder mit der Fähre nach Rüdesheim übersetzen solle.
Als ich im Januar den ersten Anruf in Rüdesheim in einem der wenigen in Deutschland noch verfügbaren Reisebüros machte, wies man mich auf die Winterpause hin. Erst ab April würden die für Reisende wichtigen Stätten öffnen: Hotels, Lokale und Cafés, Geschäfte. Die Kirchen werden ja wohl für die Ansässigen rund ums Jahr geöffnet sein – oder gibt es nicht genügend „Ansässige“?, überlegten wir. Wir buchten ein Mittelklassehotel, familiär geführt, unweit der Straße, die hoch zur Wallfahrtskirche Hildegard von Bingen führt. (Das ist die Kirche mit dem berühmten und beeindruckend schönen vergrößerten Mosaik an der Altarwand). Aber auch zur Abtei oben an den Weinbergen könne man entweder gut laufen, oder man nehme den Sessellift etwas außerhalb von Rüdesheim – ein Schiff würde uns dorthin bringen können, falls wir nicht laufen wollten. Der Preis des Hotels war ein Nach-Covid-Preis, soviel hatte ich wohl erst einmal, wenn überhaupt, für Übernachtung/Frühstück bezahlt. Aber es sollte sich lohnen.
Die Fahrt, zuerst mit dem Nahverkehrszug nach Andernach, wo mich Teresa schon erwartete, dann mit ihrem Auto auf der langsamen, aber abwechslungsreichen, idyllischen Strecke direkt am Fluss entlang, ist länger als vermutet und unbedingt lohnenswert. Diese Blicke auf den sich windenden Fluss, auf ganz unterschiedlich geformte Weinberge und wie hingewürfelte, winzig erscheinende Dörfer direkt am Wasser …, das ist einfach bezaubernd und nicht immer so gut erlebbar vom Zug aus.
Ein noch spärlich besuchtes Rüdesheim empfing uns, mit überaus zuvorkommenden Einwohnern und Dienstleistenden. Wo sich ein Café ans andere schmiegt, am Rheinufer und in einer der bekanntesten Gassen, konnten wir uns lebhaft das Geschiebe in den nächsten Monaten vorstellen, besonders am Wochenende. Aber so… – war es einfach entspannend und wunderbar. Renovierte Fachwerkhäuser rund um große Innenhöfe, reich verzierte Türme und Türen, in schwarz, weiß und rot – es gab soviel zu sehen!
Mich interessierten jedoch am meisten die Wirkungsstätten der Ordensfrau, und so zog es uns am Ankunftstag in die Wallfahrtskirche. Danke, liebe Teresa, dass du das alles anstandslos mitgemacht hast! Unsere Schritte hatten sich ohnehin schon verlangsamt, vom Hotel aus waren wir in Stille gelaufen, und in der Kirche waren wir die einzigen Besucher*innen. Nachdem wir uns orientiert hatten, blieb ich bei mehrere Skulpturen sowie einer Fotoausstellung vom Brand und Wiederaufbau der Kirche stehen, und ging dann auf die goldenen „Truhe“ zu, die in der Mitte des Altarraums stand und die Gebeine von Hildegard enthielten. Knochen sollen starke Kraft speichern können, das wusste ich von Zeugnissen indigener Völkern. Vielleicht ist dies eine Brücke zum Verständnis der Reliquienverehrung. Ein guter Freund von mir, der am 14. zu uns stoßen würde, sprach von einer großen Ausstrahlung, die er und seine Freundin bei einem Besuch an genau diesem Ort gespürt hatten.
Jede von uns suchte sich einen Platz zum Meditieren. Dieses vielfach vergrößerte Gemälde an der Altarwand, das wahrscheinlich bekannteste der Heiligen Hildegard, welches eine ihrer Visionen zum Ausdruck brachte, ist einfach umwerfend in seiner Gestaltungskraft, Aussage, Schönheit. Ich konnte mich nicht satt sehen an dem Kreis, der ein wenig über das darunter liegende Rechteck hinausragte: Ich imaginierte den Kreis als DAS Symbol für Weiblichkeit schlechthin, und vielleicht drückt sich hier Hildegard‘s Kreativität aus, das heute bekannte YinYang-Symbol auf ihre Weise darzustellen: weniger fließend und dynamisch als jenes, aber kraftvoll. Fehlt uns das nicht in „unseren“ abrahamitischen Religionen? Wie auch immer, ich ließ die besondere Stille von Eibingen, so heißt der Stadtteil mit seiner Kirche, und die sanft-starken Blautöne der Wand, des Rechtecks des Gemäldes, mit dem überlappenden Kreis auf mich wirken. Mit der Figur des Christus kann ich immer mehr anfangen, er ist – buddhistisch gedacht – der Bodhisattva, der allen Wesen dient und bereit ist, dies durch alle Leben zu bezeugen. https://g.co/kgs/bUoPLz
Nachdem wir noch eine Weile auf dem Vorplatz gesessen hatten, liefen wir schweigend zurück, jede in ihrem Tempo. Erst aßen wir eine Kleinigkeit bei einem offenen „Asiaten“, dann trafen wir uns um 20:00 zu Meditation und Dialog in meinem Hotelzimmer. Ein solcher Tagesabschluss ist für mich sehr nährend, ich glaube, uns beiden ging es so. Die Vereinbarung war, am nächsten Morgen, dem 14.4., wieder zur Morgen-Meditation zusammen zu kommen.
So herrlich, am Geburtstag morgen nicht alleine zu meditieren! Teresa bedachte mich mit einer Umarmung, einem winzigen Sträußchen Blumen, einer ausgesucht schönen Karte und mit der frisch erschienenen Gesamtauflage der Texte von Etty Hillesum: Diese immer bekannter werdende holländische Mystikerin, die außergewöhnlich bewusst und gefasst, mit vielen anderen Jüdinnen und Juden, in Westerbork auf den Transport in den sicheren Tod wartete. In ihrer Gefasstheit und existentiellen Weitsicht erinnert mich die 29jährige an Janusz Korczak, Victor Frankl, Jacques Lusseyran, die Geschwister Scholl, Simone Weil, Dietrich Bonhöffer, um nur einige herausragende Beispiele zu nennen. In ihrer Lyrik und verdichteten Weisheit steht sie jedoch einzigartig dar.
Nach dem leckeren und ausgedehnten Frühstück hörten wir einen interessanten Vortrag eines Reiseführers, der schon in der Kirche wartete. Er erzählte, wie wir uns das Leben im Mittelalter vorzustellen hätten, über die Pest in Bingen und wie man sich bemühte, diese nicht mit dem Schiff auf die andere Seite zu bringen. Wir erfuhren Vieles aus dem Leben von Hildegard und konnten Fragen stellen, was den Vortrag zu einem inspirierenden Gespräch erweiterte. Das Wetter war…Kaiserwetter, so ähnlich wird es am Ostermontag, dem 14.4.1952, gewesen sein.
Hildegard kam aus einem begüterten Adels-Haushalt und wurde mit acht Jahren, wie damals üblich, als zehntes Kind zusammen mit ihrer älteren, späteren Lehrerin zur religiösen Erziehung (‚Inklusorium‘) in das von Benediktinermönchen bewohnte Kloster Disibodenberg gegeben. Sie gründete später ein eigenes Kloster, in dem sie weniger strenge Ordens-Regeln anlegte, als allgemein üblich war, und damit Auseinandersetzungen mit männlichen Autoritätspersonen riskierte und diese durchfocht.
Ich mache jetzt einen Sprung und lasse die weiteren Stationen ihres Lebens unerwähnt, weil ich diese selber noch nicht verinnerlicht habe und man sie leicht bei „wikipedia“ nachlesen kann. Jedenfalls galt und gilt die Heilige Hildegard als erste Vertreterin der Deutschen Mystik des Mittelalters, auch als erste Dichterin. (Das hörte ich zwar auch von Roswitha von Gandersheim, die in meinem Geburtsort Bad Gandersheim Äbtissin war, meines Wissens tatsächlich die erste.). Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. Sie war auch geschätzte Beraterin vieler hochstehender geistlicher Persönlichkeiten wie zum Beispiel Bernhard de Clairvaux.
Besonders an diesem Geburtstag erinnerte ich mich an die Zeit, in der ich zusammen mit Lisa Becker, Poesiepädagogin wie ich, Journalistin, Ernährungsberaterin, 1998 das Konzept für die Frauenschreibschule KALLIOPE entwarf, Texte für Flyer und für die acht Module + einem Einführungsmodul entwarf, die auch nach Lisas Tod fast unverändert ihre Gültigkeit behielten. Auf der ersten Seite des aufwändigen Flyers stand „SCIVIAS = Wisse die Wege“, Titel des Hauptwerkes der Heiligen Hildegard. Es hatte uns damals, Lisa und mich, zutiefst inspiriert, dass unsere schreibende Ahnin, wie weiter oben schon erwähnt, in einer Skulptur mit der Schreibfeder statt dem Jesuskind abgebildet worden war. Da wir uns für die Schreibausbildung auch mit feministischer Literaturwissenschaft befassten, gehörten die Mystikerinnen des Mittelalters zur empfohlenen Lektüre der Studentinnen, bzw. wir zitierten aus verschiedenen Werken zum Thema. Die Ordensfrauen gehörten zu den wenigen Frauen, die überhaupt schreiben und lesen konnten, sich Bildung aneigneten, Sprachen und Künste lernten und, wie Hildegard, Korrespondenzen mit Gelehrten führten.
Hatten wir etwas zu tun mit den gottesfürchtigen Frauen, die Ehe und Mutterschaft, manchmal auch Sexualität, entgehen wollten, Lernen und Lehren liebten?
ZITATE aus: Annerose Sieck: Mystikerinnen – Biographien visionärer Frauen. S. 23
„Die mittelalterliche Ehe war ja nach allen Rechtsquellen ein Unterwerfungsverhältnis, das einem Mann gestattete, seine Frau schlichtweg mit körperlicher Gewalt zu einer gehorsamen Kreatur ohne Eigenwillen zu machen.“ (Peter Dinzelbacher) S. 19
„Die Mystik ist im Laufe der Geschichte meist Laiensache gewesen – und Frauensache. Vielleicht waren sie gerade deshalb fähig, nach innen zu lauschen.“ (Andreas Ebert). S. 38
„Frauen, die dem Adelsstand angehörten, hatten kaum Chancen auf eine Berufstätigkeit. Sie waren in die Familie eingebunden und für die Erziehung der Kinder und die Führung des Haushaltes, zu dem Personal gehörte, verantwortlich. Einige schafften es, auf der politischen Ebene Einfluss zu nehmen.“ Genannt werden hier: Theophanu (gest. 991), Eleonore von Aquitanien (geb.um 1120), Blanche von Kastilien (geb. 1188). S. 23
„Ein weiterer Grund für die Anziehungskraft der Klöster waren die hervorragenden Möglichkeiten der Bildung und geistig-literarischer Betätigungen, die sich den Frauen boten. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte auch der Versorgungsaspekt, der besonders für Eltern wichtig war. Nach der Eignung und Neigung der Mädchen wurde dabei oft nicht gefragt.“
Und was hatte das alles mit uns Schulgründerinnen zu tun, und wenn ja, was war es genau?
Eines lag nahe: Da wir glücklicherweise langfristig – es sollten zwölf Jahre werden! – das Kloster der Waldbreitbacher Franziskanerinnen im Westerwald als Veranstaltungsort für unsere „Schule“ gewinnen konnten, lag es nahe, sich auch mit den Freuden und Leiden der Nonnen zu befassen: Ich als gebürtige Protestantin, phasenweise aus der Kirche ausgetreten, der Befreiungstheologie, feministischer Theologie und der buddhistischen Lehre, dem Humanismus und der Psychoanalyse gleich nahestehend. Nach der Geburt meiner Tochter Lisa Denise trat ich wieder in die Kirche ein. Meine Kollegin und Freundin Lisa Becker (erst später heiratete sie und hieß dann Becker-Saaler) war katholisch erzogen und reiste in England umher, sich Erzählkreisen („story telling“) anschließend, auf den Spuren des Heiligen Grals wandelnd. England war damals, genauso wie Irland und Frankreich, viel weiter mit dem „Kreativen Schreiben“ als wir in Deutschland. Prof. Lutz von Werder, mein Lehrer, sollte Geburtshelfer für die „Neue Deutsche Schreibbewegung“ werden. Später würde meine Freundin sich auf einer der Zugfahrten nach Hagen oder von dort zurück, wo sie ein Fernstudium in „Journalistischem Schreiben“ absolvierte, in einen evangelischen Pfarrer verlieben und mit ihm, nach Jahren des Umzugs, Einander-Kennenlernens und schließlich der Heirat in Saulheim/Hessen, Zwillingsmädchen bekommen.
Was nun hat die Begegnung mit der erst nach Jahrhunderten heilig gesprochenen Hildegard bewirkt? Eines kann man, so glaube ich, sagen: Sie hat mich berührt. Am zweiten Abend in Rüdesheim haben wir uns nach der Abendmeditation gefragt: Gibt es wirklich so große Unterschiede zwischen dem Frauenhass damals und heute? Wenn wir bedenken, wie viele Versuche, wie viele Jahrhunderte voller erneuter Eingaben beim Papst und immer und wieder Ignoranz vergehen mussten, bis diese vielseitig gebildete, visionär begabte Gelehrte endlich so ernst genommen wurde, dass sie als Kirchenlehrerin geehrt wurde. Bis ihre Reformen von Ordensregeln akzeptiert wurden. Bis ihre Visionen als wegweisend für Christen, für Menschen angesehen wurden…, und wenn wir uns so manche Politikerin, Schriftstellerin, Führungskraft vor Augen führen und erinnern, wie schwer es diesen Frauen auch heutzutage gemacht wurde, gut zu verdienen, Gehör zu finden, verlegt oder gewählt zu werden…, dann war sie, Äbtissin mehrerer Klöster, einfach nur sehr früh dran, kämpfen zu müssen – ähnlich übrigens wie Christine de Pizan.
Wie herausfordernd, anziehend, ja, und daher auch bedrohlich, muss ihre unerschrockene Intelligenz zumindest für manche Kirchenmänner gewesen sein, so dass diese die Erinnerung an die fromme Ahnin am liebsten verbannt hätten. Wie stark mag der Selbstwert von Mönchen von der Erniedrigung von Nonnen abhängig gewesen sein? Und, auf diesem Hintergrund, wie erstaunlich die Resilienz und der Wagemut von Frauen, nicht aufzugeben, auch hier nicht, in den patriarchalen Klöstern! Auch wir beide, Teresa und ich, sind übrigens Spätberufene, was das Intuitive Schreiben angeht, ein – zumindest erst einmal – absichtsloses, expressives Schreiben. ein Schreiben „aus dem ganzen Körper“, wie auch oft zu sagen oder zu schreiben pflege.
Ihre finanzielle Potenz hatte der Adelsfrau Hildegard geholfen, denn sie konnte Land und Gebäude erwerben. Insofern verdankten nicht wenige Frauen Zuflucht und Ausbildung ihren adligen Schwestern. Das war mir bis jetzt gar nicht so klar gewesen. Oft brauchten Frauen auch den Zuspruch und die Solidarität mindestens eines männlichen Kollegen oder Vorgesetzten, modern gesprochen, um den ihnen zustehenden Platz, aufgrund von Begabung, Ausbildung, Berufung einnehmen zu können. Was übrigens genauso für den Buddhismus gilt.
Köstlich war die Seilbahnfahrt, die wir nach einer Spaziertour durch die Fachwerkbaukunst in Rüdesheim machten: Hoch schwebend über den sanft geschwungenen Weinbergen, die bis an die Abtei reichen. Auch die Abtei lebte und lebt immer noch vom Weinanbau, das war mir nicht bekannt gewesen. Woraus sich das touristische Image des Ortes nachvollziehbar erklären lässt. Ich fand den Rest des Spaziergangs, von der oben gelegenen Seilbahnstation bis zur Abtei, die bald in der Ferne als dunkles, zweizackiges Symbol auftauchte, magisch. Magisch, wieder in der warmen Aprilsonne zu laufen. Magisch der blaue, ungetrübte Himmel über dem Blau des Flusses, dem Grün der Hügel, dem Weiss und Grau der größeren und kleineren Steine auf unserem Weg, die leicht ins Rollen kamen unter unseren Füßen, anfangs noch entlang eines lichten Wäldchens.
An einer langen Mauer aus alten Steinen liefen wir die letzten etwa einhundert Meter bis zur Abtei, nach dem Café Ausschau haltend. Dort waren wir mit Jürgen König, meinem langjährigen Freund, verabredet.
Im schattigen Innenhof des Cafés taten Kaffee und Kuchen richtig gut, und wir hatten viel Gesprächsstoff, auch als Jürgen bald zu uns stieß. Ich erinnerte mich daran, dass die Mehrzahl der an der Schreibschule in Waldbreitbach teilnehmenden Frauen nicht religiös war. Manche Frauen hatten schlimme Erfahrungen in Regelschule, Internat oder Heim gemacht, und alle schwierigen Themen, also auch dieses, boten sich an, in und zu Texten verarbeitet zu werden. Die Hexenverfolgungen und -tötungen, neben den beiden Diktaturen, dem Holocaust, der Mauer, lasteten in gewisser Weise immer noch auf uns Frauen und sorgten für eine machtvolle Selbstzensur, die bei uns allen zu mehr oder minder rigiden Schreibblockaden oder -hemmungen geführt hatten.
Pünktlich um 17:30 fanden wir uns zur Abendandacht im Kirchenraum der Benediktiner-Abtei hoch über Rüdesheim ein. Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob jemand gepredigt hat. Aber von der Empore klang der helle, gregorianische Chorgesang, den ich von einer CD mit Hildegards Kompositionen schon kennen gelernt hatte. Vielleicht lag es an meinem Geburtstag, dem Wetter lag: Dieser Chorgesang von der Empore herab, ohne dass wir jemanden sahen, berührte mich als überirdisch. (Es soll keine abgespielte CD gewesen sein…) Das Nach-und Vorschwingen der Zen-Übung, Stille und Ton in einer Abtei, die Weite des Himmels und der Landschaft, wellig bis zum Horizont, verschmolzen in mir zu einem Ozean, auf dem ich seit Jahrzehnten Surfkurse nehme.
*)
Wortelfchen von Teresa:
Warum
schweigst du?
oder bin ich’s
die dicht macht für
dich?
Vielleicht
später mal.
Oder auch nicht.
Warum sollte das schlimm
sein?
Eigentlich
total egal.
Nicht mal schade.
Trotzdem war’s eine tolle
Zeit.
Wortelfchen von mir
Wieviel
Mut gehörte
dazu nur Gott
anzugehören, seiner oft unbequemen
Wahrheit
Sehnsucht
nach Schönheit
und Wahrheit beziehungsweise
beides ungetrennt macht mich
glücklich
Erst
Virginia Woolf
beschwor Anspruch auf
eigenen Raum, Geld, für
Schriftstellerinnen…
**)
Das Museum am Strom auf der anderen Seite des Rheines, betraten wir am nächsten, am Abreisetag, nur kurz, um einen Blick hineinzuwerfen, das Bad zu benutzen und einen Flyer einzustecken. Auch auf dieser Rheinseite wurde gottesfürchtig gelebt. Wir erahnten, was alles Platz machen musste für interessantere Baumaßnahmen als Orte für Ordensleute, Gebet und Rückzug, Feier, Hoffnung auf Heilung, auf Transformation. Ich werde wiederkommen. Von der Bahnstation Linie Bonn-Mainz sind es nur 10 Min. Fußweg.
***)
15.9.2023: Hildegard-von-Bingen-Ausstellung im Frauenmuseum Bonn
Ich habe mich gefreut, diese Ankündigung zu sehen. Mein Gespür gibt mir recht. Ich bin sehr gespannt, was Marianne Pitzen, Gründerin des Frauenmuseums, und ihre Mit-Künstlerinnen uns Frauen und natürlich den progressiven Männern künstlerisch zu vermitteln haben.