Zitat von Virginia Woolf aus ihrem Buch: „Ein Zimmer für mich allein“:

„Eine Frau muss Geld und einen eigenen Raum haben, wenn sie kreativ schreiben will.“

Den Workshop dieses Monats spannte ich in zwei Zitate ein: Ein sehr bekanntes, kurzes, das es aber auch in längerer Fassung gibt, und das lange, weniger das Individuum ansprechende Zitat am Ende dieses immer noch hoch aktuellen Buches, über Shakespeare‘s Schwestern.

1. „Der Raum für mich allein“ kann und sollte sowohl der konkrete vorhandene oder zu schaffende Raum in einer Wohnung, einem Haus sein, in den die Autorin sich nach Belieben zurückziehen kann, wie auch der zwar metaphorische, aber nicht minder konkrete INNERE Raum, der keinerlei Besetzung – oder Besatzung – duldet. Und DAS zu beanspruchen, auszuhalten und/oder wieder herzustellen, muss Frau erstmal können! Im Sinne von sich trauen, sich zutrauen, beibehalten. Oder erinnern. Oder erschaffen.
Die Komplexität der Aufgabe wird deutlich an dem Bild, dass Frau einerseits Raum nimmt, während sie Stroh zu Gold spinnt, andererseits Raum braucht, um dies zu tun, drittens Raum erschafft im Tun. Diese Prozesse brauchen 
 enorm viel qualitative Zeit, Ungestörtheit und/oder jede Menge tiefe Verzweiflung.

Meine Stimme ist meine Stimme ist meine Stimme. Ich kann sie nirgendwo anders hören, als in mir. Dazu muss mein Gegenüber genug Raum haben, um Raum zu geben. Wenn dies der Fall ist, ist mein Gegenüber Mentorin oder Mentor, Hebamme, Priesterin.

2. Je tiefer ich mich erinnere, desto froher bin ich eine Entkommene dem Schlimmeren mehrmals entkommen, dadurch
mir immer näher geraten
immer näher geriet ich mir und wunderte
mich
Die Wunden schmerzten noch, aber ihre
Lebendigkeit überzeugte die zögernden Füße 
Im Treibsand
verwehte jede Spur was gut war
denn die ehemaligen Feinde fanden nur
sich selber
Wieder sprang sie hinauf
doch nicht mehr an Teppichstangen und Rohren
hangelnd 
Sanft schwingende Leitern aus Gedichtzeilen
luden ihre Füße ein von
Bedeutung zu Bedeutung zu grätschen
Liebste: Unsere Währung sind nicht Technik, nicht Stahl 
Unsere Währung ist: Laubfroschgesang

3. Wir übten eine schriftliche und eine mündliche Resonanz auf gelesene Texte zu geben. Eine wiederholte die Wörter, die sie ansprachen und las nur diese. Dies ist die sauberste, klarste Methode. Wir anderen, die wir uns schon länger kennen, erlaubten uns, die Resonanz in unseren Körpern zu überprüfen: Wo trifft und berührt mich was und wie genau? Wir schrieben auf, lasen vor. Die Autorin hatte das letzte Wort, konnte also auch etwas zurückweisen, modifizieren, richtig stellen. 
Am Nachmittag besprach die Gruppe das Gehörte sozusagen „auf dem Podium“, aber nach dem selben Strickmuster wie oben: Was berührt mich wie am meisten? Eine aus der Gruppe machte sich jeweils Notizen dazu und sandte diese an die Autorin. Danke, dass Ihr diese Dienste treu macht, sie kosten mehr Aufwand, als wenn wir im selben Raum leibhaftig im Kreis säßen. Bei dieser Art der Rückmeldung ist man/frau manchmal etwas gewagter, in der Spiegelung. Die Gruppe lernt, wie unterschiedlich Texte rezipiert werden, aber auch, wie einig sich alle sein können, im Hören desselben.

4. Zusammenfassung: Einige sind tiefer in die Verliese, die „Leibarchive“ hinuntergestiegen, oder, wenn wir beim Bild der Matruschka bleiben, die zwar immer reifer, älter, „größer“ wird, aber alle jüngeren Anteile in sich trägt: Dann haben wir deutlich die unreiferen Teile von uns sprechen hören, was tief berührend ist. Meine Erfahrung ist nämlich, dass die in uns unterdrückten Stimmen, egal, was diese ausdrücken wollten, ob Ärger, Neugierlust, Überschwang, Entsetzen, Trauer, Schmerz, Freude…den freien „flow“ unseres heutigen Denkens und Fühlens blockieren. Die blockierten Stimmen – oft unter Androhung drastischer Strafen – hemmen unsere volle heutige Ausdruckspotenz.

Abgesehen davon, will es geübt werden, angemessen dosiert und dennoch kraftvoll Liebesgefühle und Ärger, Misstrauen und Bedürfnisse nach Verbindung, Enttäuschung und Befriedigung, Scham und Schmerz, Entzücken und Jubel auszudrücken. Alle Stimmen wollen geübt werden, bis sie uns wie ein bunter, frischer Blumenstrauß oder eine Farbpalette zur Verfügung stehen. 

Daraus folgt, dass eine täglich Schreibpraxis wie sie zum Beispiel von Julia Cameron empfohlen wird, zu vertiefter Selbsterkenntnis, Reinigung und als expressive Übung Gold wert ist. 

Es ist meiner Ansicht nach leicht erkennbar, dass wir auf diesem Weg ganzER werden, Beziehungen bereinigen, befrieden oder in bester Weise beenden. Letztere hängen oft wie ein altes Fischernetz an uns, das wir, ohne es zu merken, ständig hinter uns her ziehen. Trauerarbeit, die wir früher regelmäßig in der Kirche machten, findet hier einen Platz, denn sie ist lebenslänglich und wird durch Training leichter und selbstverständlich. Genauso wie die kleinen und größeren Freudenfeste unseres Alltags zu feiern sind, die wir allzu oft übergehen. 

Manche entdecken durch tägliches Schreiben auch das Beten wieder, ein freies, wildes Beten, wie es mir geschah, als ich auf mich hören lernte, statt meine Antennen viel zu oft nach außen gerichtet zu halten. Die Eingebungen, das Intuitive, erfuhr ich manchmal als „göttliche Stimme“, „Stimme der Höheren Macht“, als „weise, innere Frau“. Heute ist mir das überhaupt nicht mehr wichtig, wem ich diese Stimme zuschreibe: Mein Spürbewusstsein für ‚Innere Führung‘ ist geübt und verlässlich geworden.
5. Autobiografisches Schreiben vermag jedoch noch viel mehr. 
Jedoch möchte ich für heute schließen mit der der deutschen Übersetzung der letzten, gewichtigen und prophetischen Worte von Virginia Woolf aus dem oben genannten Buch:

„Wenn wir einen eigenen Raum und 500 Pfund hätten -
Wenn wir es gewöhnt wären, uns frei auszudrücken und den Mut hätten, genau das auszudrücken, was wir denken -
dann halte ich aufrecht, dass sie (Shakespeares Schwester) erscheinen würde, wenn wir für sie arbeiteten, und dass es sich lohnen würde, genauso zu arbeiten, und wenn es in Armut und Dunkelheit geschähe.“

Verzeiht mir bitte, der Text ist länger und komplex, ich brauche mehr Zeit und innere Ruhe, die langen Sätze, die Woolfs gesamtes Buch zusammenfassen, in lesbares Deutsch zu bringen. Ich hoffe aber, den Kern, die allerletzten Sätze getroffen zu haben.

In diesem Sinne wünsche ich hohe Schreibmotivation und dass wir uns bald wiedersehen.

Ganz herzlich,

Eure

Monika