28. Dharma-Reflexionen vom 15. Juni 2025 des Buchstudiums “ The World Could Be Otherwise” von Norman Fischer Roshi, S. 101 – 103. Fortsetzung des Unterkapitels ‘Konflikt: Die fortgeschrittene Praxis der Geduld.

Untenstehend Antwortbrief von Zoketsu auf das Dilemma des Schülers, beschrieben am Ende der 27. Reflexionen. (Beides erschien im Buddhistischen Magazin “Lion’s Roar”):

„Ihre Antwort zeigt die Komplexität der Belehrungen im täglichen Leben auf. Manchmal können wir die Belehrungen nicht wörtlich nehmen. In verzwickten Situationen, sind Sie gefordert, den eist der Belehrung herauszufinden und zu versuchen, diesem zu folgen, wenn nicht der wörtlichen Anweisung. Der Kern der Aussage „Lass‘ den anderen den Sieg“, liegt in der Reduzierung des Fokus auf sich selber. Warum sollten Sie das wollen? Weil es schlecht für Sie selber ist, wenn sie zu sehr auf Ihr eigenes Wohlergehen konzentriert sind. Es begrenzt Ihren Aktionsradius und zieht Ihr Herz zusammen.

Bei dem von Ihnen erwähnten Fall beginnen Sie, Ihre Motivation zu erforschen. Warum nicht damit fortfahren, Ihrem Kollegen zu gestatten, dass er die Meriten für Ihre Ideen und deren Umsetzung erhält? Stört es Sie? Warum? Denken Sie darüber nach.

Das Wichtigste dabei ist, ehrlich und realistisch zu sein. Wenn es in der Tat so ist, dass dieses Zulassen, dass der Kollege Anerkennung für Ihre eigene Arbeit erhält, Ihre Moral untergräbt (wie Sie sagen), Ihre Karriere begrenzt und sie unglücklich macht, dann ist die Buchstabentreue zum Slogan nicht hilfreich, dessen Geist zu verwirklichen. Also müssen Sie damit aufhören, solches Verhalten dem Kollegen zuzugestehen. Wenn Sie ein Buddha geworden sind, können sie anderen immer den Sieg überlassen. Aber jetzt noch nicht. Dass Sie sich jetzt damit abmühen, wirkt zurück auf Sie. Es hat die gegenteilige als die intendierte Wirkung.

Also müssen Sie etwas Schwierigeres tun: Sorgen Sie für eine Unterredung mit dem Kollegen, bei der Sie ihm oder ihr sagen, mit diesem Verhalten aufzuhören, weil es sie stört, weil es weder richtig noch fair in Ihren Augen ist. Versuchen Sie, diese mit einem großzügigen Verständnis dafür zu tun, dass das Verhalten des Kollegen von einem Mangel oder einem blinden Fleck stammen muss, den er oder sie ehrlicherweise einsehen wird. Kein eigentlicher Fehler also.

Wenn Sie all dies tun, ohne die Verbindung zu Ihren Bodhisattva-Verpflichtungen zu verlieren, praktizieren Sie den Slogan (Lass den anderen den Sieg).“

Norman schreibt, dass spirituelle Unterweisungen inhärent idealistisch seien, das heißt, dass wir oft nicht in der Lage ein werden, den „Sieg den anderen zu lassen“. Wir würden es aber trotzdem probieren und beobachten, was geschieht. Vielleicht kommt es zu einer inneren Ausdehnung. In anderen Situationen werden wir nur nachtragender. Dann kämpfen wir, unterliegen, fühlen uns entmutigt. Wir finden, dass spirituelle Übungen zu hart oder zu blöd für uns sind.

Bodhisattvas ziehen aus derartigen Situationen den Schluss, dass es am besten ist, mitten in den Konflikt hinein zu springen. Das bedeutet nicht, dass wir den Übungsweg verlassen hätten, sondern ihn gerade praktizierten. Manchmal führt das Konflikt-Training zu überraschenden Entwicklungen. Manchmal vertieft sich die Freundschaft geradezu durch eine schwierige Unterredung.

 

Konflikt ist Liebe

„Während ich viel Zeit damit zugebracht habe, Konflikte zu studieren und zu kontemplieren, kam ich zu dem Glauben, dass ich im Zentrum jeden Konfliktes ein Tropfen Liebe befindet.

Was macht einen Konflikt zum Konflikt? Gegensätzliche Interessen. Aber was ist welchem Gegenstand genau entgegengesetzt?“

Wir alle brauchen und wollen Liebe. Wenn der andere uns zu bedrohen scheint, ist die Verbindung zu dem, was in unserer Tiefe ruht, unterbrochen – es ist unser intensives wechselseitiges Bedürfnis nach dem anderen.

Ist es dann nicht allzu verständlich, dass es so große Empörung gibt, wenn doch erst die eine Partei, dann vielleicht auch die andere, sich zutiefst betrogen fühlen? Wir fühlen uns sitzen gelassen wie von einem geliebten Menschen. Das nehmen wir auch wahr, denn wir können manchmal an nichts anderes denken, träumen sogar von dem anderen. Konflikte bezeugen das Scheitern von Liebe, und Liebe ist das, was uns am meisten bedeutet.