Liebe Freundinnen und Freunde des Wortes!

In diesen Zeiten habe ich das Bedürfnis, öfter an Euch zu schreiben. Viele befinden sich wie ich in einer Experimentierphase, deren Beginn zumindest nicht selbst gewählt ist und deren Bedingungen einschränkend, behindernd, beängstigend sind oder sein können. Manche wissen nicht, wie sie jetzt oder später ihre Rechnungen bezahlen sollen, finden es schwer und manchmal leicht, sich in Homeoffice-Arbeit zu befinden und andauernd zu skypen oder zu telefonieren-, von den anderen Entbehrungen und Schmerzen, die wir selber oder Bekannte von uns erleiden, ganz zu schweigen.

Die Schmerzen können auch aus angstvollen Fantasien stammen. Dem versuchen wir mit notwendigen und selbstgestrickten Arbeiten zu begegnen. Ich zum Beispiel bastele derzeit an einer neuen Visitenkarte, die sich weder konkret auf das Schreiben, noch auf die Meditations Angebote bezieht. Diese Karte soll die Essenz meiner Inspiration und Motivation ausdrücken und daher alles einschließen was ich bin und tue.

Ich “sah” den Namen “Karuna” auftauchen, so wie mir vor 22 Jahren der Name “KALLIOPE” für die 1999 gegründete Frauenschreibschule erschienen war. Derartige Eingebungen habe ich immer mal wieder und sie erstaunen mich zutiefst. Ich schrieb ja neulich einen Blog-Text mit dem Titel “Von Corona zu Karuna.” Wo kommt so etwas her? Wo kommen überhaupt unsere Texte her? Ich weiß es nicht. Aber ich gründe Domains, Webseiten, eine Schule, die zwanzig Jahre lang das Zentrum meiner Arbeit darstellte, auf solche Eingebungen. Auch geschehen mit Workshop-Angeboten, Schreib-Impulsen, Anweisungen, wie, worüber und mit wem ich demnächst würde sprechen müssen.

Also Karuna. Ich kann wirklich und wahrhaftig sagen, dass die Corona Krise mich zur Gründung von KARUNA geführt hat. Im Wörterbuch lese ich, dass Karuna unter anderem mit “Barmherzigkeit” übersetzt wird. Das ist mir sehr recht. Ich lese zur Bedeutung des Sanskrit Wortes: Tugend des Erbarmens, der Liebe und des (tätigen) Mitgefühls. Das gefällt mir. Ich habe ohnehin nicht verstanden, warum das Wort “Barmherzigkeit” aus der Mode gekommen ist (im Althochdeutschen ist es “armherzig”, übersetzt von “misericordia”). Vielleicht ist auch das Tun aus Barmherzigkeit aus der Mode gekommen, wenn wir an die Geflüchteten auf Lesbos oder auf dem Schiff Alan Kurdi denken, das wieder nirgendwo anlegen darf. Seit sich die Kirchen auf eine ihrer Kernkompetenzen wieder besonnen haben, indem sie Rettungsschiffe kauften und sich des Themas “Geflüchtete” nicht nur in Predigten annahmen, ist das Wort aus den Gruften der Seele wieder ins Licht gekommen. Die Buddhisten haben recht, wir alle haben die “Buddha-Natur”, wir müssen sie “nur” zulassen!

Ich finde, es beschreibt treffend, worin sowohl die Triebfeder meiner Schreibangebote wie auch Motivation zu Pilgerreisen und Einkehrtagen im weitesten Sinne besteht: Mich meiner – und wir mit unserer – eigenen inneren hungernden und verdurstenden Anteile anzunehmen, die in Scham, Verwirrung und Angst verharren, und die wir natürlich auch im Außen sehen. WENN wir hingucken. Unsere Blickrichtung speist sich vom Ausmaß unserer Barmherzigkeit. Ebenso wie die Ausdauer unseres Blickkontaktes. Halten wir dem stand was wir erblicken?

Wir können nur standhalten, wenn wir den Blick ertragen UND geerdet stehen. Ich muss mich getragen fühlen, mich selber ertragen, tief durchatmen können, bis in die Füße und darüber hinaus. Bis über die Haarspitzen und darüber hinaus. Sowie ich Leben lerne, tiefer atmen übe, standhalten übe, schult sich wie von alleine das, was im Buddhismus Mitgefühl genannt wird.  Was gar nicht soviel mit Gefühlen zu tun, vielmehr der Barmherzigkeit nahe steht.

In Zeiten von “Corona”, durch die ständige Berührung mit Angst vor Schmerzen, Krankheit und Tod, Verlust von Sicherheiten, dem Schwinden von Perspektiven, können spirituelle Qualitäten neu oder zum ersten Mal erfahren werden. Wie in einem Krankenhaus oder Altersheim oder dem Arbeitsplatz wird uns diktiert, was wir wann zu tun haben. Verlieren oder gewinnen wir an Freiheit? Künstler*innen, Nonnen und Mönche – beide oft oder ganz von Mildtätigkeit abhängig – Kranke, Arme, Strafgefangene können uns hier Auskunft geben: Wo und wie diese Freiheit fanden oder finden.

Was sind “Spirituelle Qualitäten”? Na, zum Beispiel Geduld. Daran arbeite ich seit letztem Oktober. Damit meine ich, ich sehe meine Ungeduld, leider eher mehr als weniger. Tapferkeit. Großzügigkeit. Langer Atem. Wohlwollen. Starke Motivation (Absicht). Altruismus. Mut. Vertrauen.

Diese Seite finde ich interessant und stimulierend am Corona-Leben. Die Frage ist doch, können wir die derzeitigen Lebensumstände fruchtbar werden lassen? Ist es möglich, daraus ein Gedicht, einen Essay zu machen? Schreibe ich an der Autobiografie weiter, komme ich zum Abtippen meiner vielen Einträge im Tagebuch? Male ich oder fertige Collagen an? Wem stehe ich bei?

Und wie passen die Schreibangebote hierein? Ganz einfach: Schreiben und besonders das Schreiben in einer professionell geleiteten Gruppe, ist ein Königs/Königinnen-Weg zum Lotus. Der geradewegs rein in den Schlamm und durch ihn hindurch zum Lotus führt. Traumata lassen grüßen und fordern Anerkennung. Ich möchte mal einen Vortrag halten zum Thema Schreibblockaden. Da hat Julia Cameron schon hervorragende Arbeit geleistet, nicht nur mit ihrem großartigen Werk “Der Weg des Künstlers”. Keine andere kennt sich derartig gut aus in der menschlichen Seele, wie wir an der Entfaltung unserer Schöpferkraft erst behindert wurden, und das dunkle Werk der Selbstsabotage dann meist selber noch weiter fortsetzten. Wirklich, ich sollte das, ohne Namensnennung natürlich, alles mal aufschreiben. Deshalb kann ich heute, mit fast 67 Jahren, sehr schnell auf den Punkt kommen. Sowie ich recht schnell höre, wozu die Seele JETZT bereit ist. Der Container einer Gruppe ist bei dieser Helden*innen-Reise von unschätzbarem Wert. (Diejenigen von Euch, die immer schon fanden oder finden, ich sei Traumatherapeutin haben unbedingt recht. Aber darf man/ich mich so nennen?)

Denn: Heldinnen und Helden sind sie alle, die mit den Wassern der Sintflut gewaschen worden sind, und sich zur Seerosenschaft (Lotus) bekennen.