Nur eine leichte Verschiebung von zwei Vokalen und einem Konsonanten führte zu einer völlig neuen Energie – obwohl: Wenn wir beim Wortsinn bleiben, dann bedeutet „Corona“ nichts anderes als „Krone“ – und schon fällt es leichter, die Verbindung zwischen der Idee „Krone“ und der Idee „Karuna“ zu sehen.

   

Übrigens schwingt bei „Corona“ auch „Kranz“ mit, „Rosenkranz“ wie auch „Dornenkrone“.
Krönt uns der Coronavirus? Vielleicht. Wenn wir ihn zu tragen wissen und erkennen, dass seine Wirkung etwas mit unserem Geist zu tun hat und nicht nur mit unserem Körper, der offenbar ein derartig lausiges Immunsystem hat, dass er Viren schutzlos ausgeliefert ist. Ich will mir nicht anmaßen, echtes, messbares Leiden (Fieber! Atemnot! Sterben!) klein zureden, dennoch haben wir – oder andere – als Kinder und Erwachsene virale Erkrankungen durchgestanden und manche nicht. Man denke an Scharlach, Mumps, die Masern, Kinderlähmung und entsprechende Szenarien in Kindertagesstätten und Schulen. Lasst uns an die Geißel des HIV-Virus erinnern, an dem Unzählige starben, oft nach einer qualvollen Zeit. Mein bester Freund war einer von ihnen. Das heißt doch, wir Älteren haben schon einiges durchgestanden, haben Bekannte und Freunde verloren oder von Toten gehört, haben unterschiedliche Theorien zur Heilung und Nichtheilbarkeit gehört, teilweise auch entgegengesetzte.

Man denke auch an Medikamente, deren verheerende Wirkung sich erst nach mitunter vielen Jahren herausstellte: Contergan zum Beispiel. Es gibt viele andere mit Nebenwirkungen, die man in Kauf nimmt, und wieder andere, deren Nebenwirkungen so stark sind, dass die angeblich positive Wirkung konterkariert wird. So, wie sich Pestizide auf den Weltäckern kaum verbieten lassen, scheint es schwer zu sein, Meinungen, Theorien und Medikamente kritisch oder sehr kritisch unter die Lupe zu nehmen, die auf menschliche Körper-Geist-Seele-Wesen einwirken sollen.

Ein Rosenkranzgebet oder mehrere schaden sicherlich nicht. Solche alten, vorchristlichen Gebete stimmen uns ein, wenn wir wollen, auf das heilige Weibliche, das sich in „Karuna“ ausdrückt. Wenn wir an die Lehren der Psychosomatik glauben, dass sich nämlich unser Körper einer Symbolsprache bedient, die entschlüsselt werden kann, dann kann sich in dem Virus und der Angst vor ihm ein kostbares Geschenk verbergen – nicht für die gesamte Menschheit vielleicht, aber doch für sehr viele Menschen. Das heilige Weibliche ist in der Dunkelheit zu finden, im Wald, überall in der Natur, in der Nacht, in der „Dunklen Nacht der Seele“. „Karuna“: Sanftheit, Mitgefühl, Mitleid, Liebe, Barmherzigkeit.

Leiden wir nicht an einem Mangel von genau dieser Qualität? Wir lesen doch jetzt schon Berichte, Artikel von Menschen in Italien zum Beispiel, die abends auf den Balkons der Hinterhäuser stehen und Lieder singen – Singen erhebt die Seele! Menschen sagen, endlich hätten sie wieder einmal unstrukturierte Zeit wie in den Ferien, aber in gewisser Weise besser als in den Ferien: Konsummöglichkeiten sind rar, und die uns alle beschäftigenden Themen – Krankheit, Tod und Angst, früher beim sonntäglichen Kirchgang kontempliert – sind alle da. Sie könnten uns vor Oberflächlichkeit und leerem „Gerödel“ schützen.

Außerdem denke ich an die „Vier Noblen Wahrheiten“ und ihre Wirkung auf uns, ihren Ausdruck in unserem Leben: An diesem bedrohlichen Thema Coronavirus können wir studieren, wie es um uns und die anderen bestellt ist. Wie wir und andere auf Angst von anderen, die vielleicht noch größer ist als unsere eigene, reagieren. Welche Abwehrmechanismen wir zur Anwendung kommen lassen, um Leid, Schmerz, Todesangst, Ungewissheit, Verlust an Einkommen, Planungssicherheit und Mobilität zu entgehen, statt zu üben, diesen Widerfahrnissen einigermaßen gefasst und klar motiviert zu begegnen.

Meine eigene Linie ist dabei so ( oder hat sich so herauskristallisiert), dass ich mich in ein persönliches Retreat begeben habe und versuche, alles, was zu tun ist, unter diesem Gesichtspunkt zu sehen: als „Heiligen Dienst“ im weitesten Sinne. Damit versuche ich, einen klaren Gleist aufrechtzuerhalten, diejenigen im Herzen zu halten, die sehr wahrscheinlich (zum Beispiel Geflüchtete) oder sicher (meine Mutter und andere, von denen mir erzählt wurde) leiden. Mich an lange schon gehegte Projekte zu begeben, die fällig sind (Aufräumen, Schreiben, Reparieren),zu lesen, Frühlingsspaziergänge machen, die sonst immer zu kurz kommen. Dabei eine zärtliche Haltung allem gegenüber, auch dem Bizarrsten, beizubehalten und rasch dahin zurückzukehren: „Karuna“ nämlich. Und wie wir immer wieder das, was uns krönt, aber auch belastet und sticht, in Schönheit zu verwandeln.