Es ist so bewegend, dass ich aus Bosnien wegfahre und denke, dort könnte ich leben. LEBEN. Ein Leben führen, nah an der Erde, ganz nah – lange hatte ich keine Lehmklumpen mehr an den Schuhen, aß grüne Tomaten, ohne sie vorher zu waschen, schaute auf wellige Wiesen, ohne etwas anderes zu wollen.

Wiesen. Äcker, Maisfelder, sanft geschwungene Ufer mit dick von Grün behangenen Bäumen, die sich, zusammen mit spielenden Wolken, im klaren Wasser spiegelten. Und Berge, Schluchten, Flüsse. Beim Fahren und gelegentlichen Laufen durch die Landschaft um Sanski Most möchte man vor Glück schreien oder rennen oder einfach nur schauen, wie eine Landschaft aussieht, die nicht vollends erobert und durchdrungen ist von unseren Vorstellungen von Bequemlichkeit. (Überall Elektrizität, Internet, gut ausgebaute Straßen, erreichbare Dörfer, Geschäfte, was wir halt alles für normal halten.) Unschuldig, majestätisch, strahlend und ruhend – selbst die neun Flüsse bei Sanski Most ruhen in sich. Und natürlich ist nichts und niemand unschuldig, oder doch? In einem ganz tiefen Sinn, denn hier wurde gezittert und gemordet, dass man sich nur lang auf die Erde werfen und nie mehr aufstehen möchte.

Da gibt es das „Center for Peacebuilding“, mitten auf dem Land, einige Hektar groß, wo sich diejenigen treffen, die seit beinahe zwanzig Jahren Friedensarbeit anbieten und ihr Leben teilen, Jugendzentren aufbauen, tief erforschen, was und wie die tiefen Wunden der Bosnier und aller, die an dem Krieg beteiligt waren, heilen können. Peacebuilder haben erkannt, dass nur Liebe heilt. Und Liebe ist harte Arbeit, nicht unähnlich der Feld- und Gartenarbeit.

„Garden of Possibilities“, also „Garten der Möglichkeiten“, wird der Ort auch genannt. Wir vier Gäste und Helfer*innen aus Deutschland und der Schweiz säten zusammen mit den Jugendlichen Gemeinschaftssinn, Freundschaft, Offenheit, Ehrlichkeit, Freude, Dankbarkeit, Mut und Unterstützung, Arbeit an uns selber, an unseren Beziehungen und Lernbereitschaft, während wir tiefe Löcher für jeden Knoblauch bohrten, ihn tief versenkten und mit Erde bedeckten. Ja, auch so etwas Kleines und scheinbar Unnötiges wie Knoblauch wird gebraucht, eigentlich eine Heilgewürzpflanze. Würze und Heilen gehen gut zusammen, bei der Garten- und Kochkunst. Das Subtile und das Konkrete.

Langsam ändert sich unser Gedächtnis, alles in unseren Körpern verändert sich, während sich die Schrecken der Kriegshandlungen unabänderlich in uns umformen. Denn auch wir Deutschen und Schweizer haben sie noch in unserem Blut, in unserer DNA, die Folgen der beiden Weltkriege und aller Kriege. In der heißen Schmelze einer liebevollen und entschlossenen Gemeinschaft werden die Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet, wie einst in der DDR. Da jede Kriegshandlung auf der Welt uns angeht, wie uns Dr. Behzad Hadzic in seinem Vortrag über Kriegstraumata darlegte, müssen und können wir uns stets neu entscheiden: Will ich Schwert oder Pflugschar sein? Von dieser Entscheidung wird abhängen, welche Energie ich in mir trage und verbreite. Deswegen schreibe ich hier über meine Erfahrung in Bosnien, denn wir sind alle eins – wie schon Buddha erfuhr und lehrte.