„SCHWEIGEN IST UNMÖGLICH“
Jorge Semprun

Elie Wiesel

Datum der Lesung: Samstag, 22.11.2025, 19:00-21:00.
Veranstaltungsort:  Veranstaltungs-und Seminar-Raum (im Erdgeschoß links) des Margarete-Grundmann-Begegnungs-Hauses in Bonn-Kessenich, Lothar-Str. 84-86.
Weitere Infos, Namen und Kurz-Bios der Autorinnen und Autoren: Bitte scrollen Sie nach unten!

Im Mai 2024 waren wir zu Dritt, als wir erst für fünf Tage nach Auschwitz aufbrachen: Regina Pietsch, Teresa Jansen und ich. Teresa und ich blieben dann noch weitere vier Tage in Krakow.

Auschwitz-Einkehrgruppe 2024 in der Kinderbaracke Birkenau

Ende April/Anfang Mai 2025 war die Gruppe etwas größer: Oliver Butz, Christine Lang, Ingo Thies und Jan Vonhöne vertrauten sich meiner Leitung an. In diesem Jahr widmeten wir erst Krakow drei ganze Tage, um  jüdische Spuren zu erkunden und danach wieder bei fünf Einkehrtagen in den Stammlagern I und II Zeugnis zu geben.  Diesen Prozess, unsere Resonanz darauf, haben wir schriftlich begleitet und möchten Sie teilhaben lassen.

Reisegruppe 2025 mit Guide Mateusz (3.v.l.) in Krakau

Bei beiden Reisen hat es Vor- und Nachtreffen online gegeben. Die Gruppenerfahrung, das Sitzen und Gehen in Stille, das wachsende Vertrauen haben eine tragende Rolle gespielt: Stärkste Emotionen wollten gespürt und ausgehalten werden. Wir hatten Einzelzimmer im „Zentrum für Dialog und Gebet“ am Rand der Stadt Oswiecim, ein Ort des Innehaltens und des Kraftschöpfens. Der Leiter des Zentrums, Vater Manfred Deselaers, den ich schon von meinen sechs früheren Zeugnis-Geben-Retreats kannte und schätzte, stand uns beide Male in mehreren Gesprächen zur Verfügung. Die Kapelle wurde mir besonders in diesem Jahr zum Ort tiefer, erneuernder Erfahrung von Gehalten-sein und Verbundenheit, vor allem auch mit unseren polnischen Schwestern und Brüdern.

Reisegruppe 2025, v.l.: Jan Vonhöne, Ingo Thies, Christine Lang, Oliver Butz, Monika Winkelmann

Die beiden Bücher von Dr. Manfred Deselears  „Und Sie hatten nie Gewissensbisse?“ Die Biografie von Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz“ sowie ****)“Die Wunde Auschwitz berühren – Ein deutscher Priester erzählt“  haben uns in je unterschiedlicher Weise bewegt – neben zahlreichen anderen Büchern. Der Titel des zweiten Buches wurde uns zum Titel des Unternehmens „Pilgerreise“. Ich bin sehr geprägt von meiner therapeutischen Aufarbeitung, vor allem der Psychoanalyse, auch einer Gruppenanalyse, von meinen Ausbildungen in Schreibtherapie und Themenzentrierter Interaktion und anderen Dialog- und Heilungswegen wie täglichem intuitivem Schreiben als Weg. Achtsamkeit, Meditation und Zen bildeten zunehmend den tragenden Hintergrund des Lebensvollzugs. Nicht zuletzt sind es die über tausend Gruppenmitglieder, mit denen ich in echter Kommunikation sein durfte, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin. In den vergangenen zwanzig Jahren hat mich die „Intergenerationelle Weitergabe von Kriegstraumata“ interessiert und geprägt. Einschlägige Kongresse wie der über Kriegsfolgen in der Universität Frankfurt, der Kriegskinderkongress im Franz-Hitze-Haus in Münster (dort habe ich auch eine Schreibwerkstatt gegeben), mehrere Tagungen in Travemünde für Vertriebene, Fortbildungen bei Prof. Radebold in Köln, mehrere Trauer-Kongresse, bei denen ich Schreibwerkstätten anbot, eine eigene Dialog- und Schreibwerkstatt für Kriegskinder und deren Nachfahren im Bonner Raum über fünfzehn Jahre, ein regelmäßiges Kreisgespräch für Kriegskinder und Kriegsenkel*innen in der Katholischen Familienbildungsstätte Bonn sowie unzählige Schreibwerkstätten für Kriegsenkel*innen „Schwere Lasten abwerfen“  bis heute haben mich mehr gelehrt, vor allem über das allseitige Leiden deutscher Kinder an toxischem Schweigen, als ich je im Stande sein werde, auszudrücken.

Christine und Ingo an der Selektionsrampe

Die gute Nachricht ist: Toxischem Schweigen kann man mit Schreibtherapie sanft begegnen. Dennoch bleibt es ein schmerzhafter, langer Weg der Selbst- und Welterkenntnis, der dennoch, wie es mir widerfährt, als beglückend und erfüllend  erfahren werden kann.

Wie immer wird die Lesung selber, wie Monika Winkelmann es seit Jahrzehnten mit ihren Kurs- und Seminarteilnehmern zu gestalten pflegt, zu einer Art Selbstbesinnungs-Reise für die Zuhörenden werden. Lassen Sie sich berühren vom einleitenden Vortrag durch Monika, von den meist spontan „im Feld“ entstandenen Texten der Autorinnen und Autoren, und vom darauf folgenden Kreisgespräch. – Für eine Pause, Getränke und Snacks wird gesorgt.  Kommen Sie bitte rechtzeitig. Man kann mit dem Bus 631 oder den Straßenbahnlinien 61 und 62 bis Eduard-Otto-Str. das Begegnungs-Zentrum fußläufig in ca.12 Minuten erreichen.
Kosten: nach Selbsteinschätzung, zwischen 10 und 20 €. Das Geld fließt in die Friedensarbeit des everydayzen- Tempels Bonn. Bitte gib‘ einfach das, was für Dich stimmt. Wir müssen Raumkosten aufbringen und teilen, und die Tempel-Angebote werden ehrenamtlich angeboten.
Anmeldung: Wir freuen uns über Ihre/Deine Anmeldung. Es ist aber auch möglich, ohne Anmeldung teilzunehmen.

Namen und Kurz-Bios der Dichter*innen und Vortragenden:

Christine Lang
Regina Pietsch
Ingo Thies
Jan Vanhöne
Monika Winkelmann

Christine Lang: Als Mutter von 5 Kindern und mit dem Beruf der Sozialpädagogin ist die Begegnung mit „Schreiben“ unausweichlich. Nicht aber die Anerkennung dafür, dass „man“ selbst zur Schreibenden werden kann. Selbst überrascht und beginnend mit der „Kaliope“- FrauenSchreibSchule durfte ich dieses Geschenk langsam und beständig auspacken.

Auf diesem Weg gibt es WegbegleiterInnen und immer wieder die Möglichkeit das Geschriebene vorzutragen. Dazu gehört Mut, und Mut ist eine wichtige Komponente in der Eigenentwicklung. Der Weg zu mir Selbst und zu den Anderen.

Schreiben bedeutet für mich eine zärtliche Aneignung meiner so lange verstummten Sprache in der Kindheit und weit in die junge Erwachsenenzeit hinein. Mein Antrieb, trotzdem nicht still zu bleiben, hat zwei Quellen: das Leiden und die Gerechtigkeit. Ich saß oder stand oft vor dem großen Kreuz der katholischen Dorfkirche. Jesus am Kreuz hat mein Herz berührt und verbunden die Suche nach einem Sinn. Später kam in der Schule Geschichte als Fach. Der Nationalsozialismus hat meinen Intellekt geweckt in der Jugendzeit und die Auseinandersetzung mit meinen Eltern: Wie konnte das Morden, das Schlachten, Folter, Verhungern lassen und all diese unaussprechlichen Grausamkeiten geschehen und nicht verhindert werden? Ich bin zuerst Sozialpädagogin geworden – als Beruf und Berufung, dann Mutter, dann habe ich angefangen zu sprechen. Jetzt werde ich Schreiben. Langsam, mich annähern – den die Worte reihen sich ganz anders aneinander als Gesprochene. Und sie dürfen bleiben. Es brannten die Bücher. Es war und ist logisch, dass der Weg mich mit meiner Schreiblehrerin Monika Winkelmann nach Auschwitz/Birkenau führte. Eine Reise von der ich ahnte, dass sie mich verändert.

 

Regina Pietsch, 1962 geboren, interessiert sich seit ihrer Schulzeit für Geschichte im Allgemeinen und ganz besonders für die jüngere deutsche Geschichte. Beide Großväter dienten im Krieg. In der Familie wurde so gut wie nie darüber gesprochen, Reginas Wissensdurst wurde dadurch immer größer. Die Erfahrungen in einem Schreib-Retreat unter der Leitung von Monika Winkelmann gaben den Impuls, den lang gehegten Wunsch zu erfüllen: eine Reise nach Auschwitz. In der kleinen Gruppe fühlte sie sich gut aufgehoben. Ruhe und Achtsamkeit halfen die Eindrücke schreibend zu verarbeiten. Ihre Ängste, Einsichten und Gefühle, die in Auschwitz auflebten, teilt sie nun gern mit anderen Menschen. Bereits wenige Wochen nach der Reise organisierte sie gemeinsam mit Monika und Theresa eine Lesung mit dem Titel: „Ich habe Angst vor Rudolf Höß in mir“.
Auch in ihrem ersten zeitgeschichtlichen Roman widmet Regina Pietsch sich dem Leben der Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus.

Ingo Thies

*1975 in Niebüll, Schleswig-Holstein

Geschwister: Ein Bruder, derzeit wohnhaft in Bad Schmiedeberg nahe
Wittenberg.

Gymnasium in Husum, Abitur 1995

Zivildienst 1996-1997 in damaliger Psychiatrie Breklum

Studium der Physik in Kiel, Diplom 2004

Promotion Astrophysik in Bonn, 2011, seither wissenschaftlicher
Mitarbeiter ebenda.

Seit 2010 Mitglied in der GCJZ Bonn

Seit 2020 Presbyter in der Friedenskirche Bonn-Kessenich

2022 Beginn Zen Meditation mit everydayzen-Sitzgruppe Monika Winkelmann. Bald kamen „Kontemplatives Schreiben“ und Aktionen „Sei ein Mensch“ (Margot Friedländer) dazu:
2023: Zeugnis Ablegen in Stille, Gebet und Schreiben über die Gewalt in der Psychiatrie in der Nazi-Zeit der LVR-Klinik-Bonn (mit Bezug auf „Fälle“ in der eigenen, erweiterten Familie und im Bekanntenkreis)
2024: Pilgerfahrt in Stille, Gebet und Schreiben zum Friedensmuseum Remagen und zur Goldenen Meile.
2025: Während einiger Wochen Sonntag abends: Zazen vor dem Alten Rathaus in Bonn und Kreisgespräch: „Sitzen für die Kinder in Palästina und überall“.
April-Mai 2025: Pilger-Reise nach Krakau und Auschwitz

 

Jan Vonhöne, Jahrgang 1968, wuchs im Landkreis Osnabrück auf.

Nach Abitur und abgeschlossener Banklehre studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Konstanz mit anschließendem Rechtsreferendariat am Landgericht Frankenthal.

Es folgten Stationen im Versicherungs- und Bankenbereich, bevor er 2001 in die Energiewirtschaft wechselte. Seitdem ist er dort als Unternehmensjurist und in verschiedenen Führungsfunktionen tätig.

Jan Vonhöne ist sportbegeistert (Ski, Radfahren, Fußball), liebt die Musik (u.a. klassische Ausbildung Querflöte) und liest gerne zeitgenössische und geschichtsbezogene Literatur. Er lebt mit seiner Familie im Rhein-Pfalz-Kreis, nahe Speyer.

Er besuchte im Juli 2024 die Dichter*innen – Lesung mit Monika Winkelmann in Limburgerhof. Diese berührende Erfahrung verstärkte sein Bedürfnis, sich intensiver mit dem Thema „Auschwitz“ zu befassen. Wenig später meldete er sich für die Einkehrtage in Krakau und Auschwitz im Frühling 2025 an…

 

Monika Winkelmann: Nach Sabine Bode, Jg. 1947, Journalistin, Buchautorin bin ich, Jg. 1952, ein typisches Nachkriegskind. Bode traute sich als erste Autorin, die komplexe Sachverhalte in allgemeinverständlicher Sprache beschreiben konnte, daran, die jeweils spezifischen Leiden, Schmerzen, Symptome, Themen der jeweiligen Alterskohorten darzulegen: Die von den Kriegskindern selber (unserer Eltern, die als Kinder in den Krieg hineingeboren wurden bzw. keine Kindheit und Jugend in Frieden hatten) bis zu den Nachkriegskindern, Kriegsenkeln und -urenkeln. (Die Urenkel*innen habe ich ergänzt, mit denen ich durch meine Tochter, die Kinder meiner Gruppenteilnehmer*innen und durch eine Schulklasse, die mit ihrer Lehrerin nach einer Polenreise in die Katholische Familienbildungsstätte in den “Council für Kriegskinder und deren Nachfahren” kam, vertraut wurde).

Nachkriegskinder erlebten, wenn ihre Eltern zu den 60% schwer mehrfach traumatisierten Eltern *)gehörten, eine faschistische Erziehung, um es mal kurz zusammenfassen, worunter ich heute noch leide. Ich begegnete den diversen oft langlebigen, gravierenden Leiden der Nachgeborenen bei allen, die mich aufsuchten. Diese trauten sich natürlich auch zunehmend, ihren tief verborgenen Erlebnissen, Eingebungen, Stimmen Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie gelesen oder gehört hatten, wie umfassend meine Ausbildung und Erfahrung in Feldern kriegerischer Widerfahrnisse bzw. Taten und gewalttätiger Elternschaft bzw. Familienklimata inzwischen geworden war.

Schreiben und lautes (Vor-)Lesen verlangsamen unseren Denkprozess, und durch diese Verlangsamung wird, wie mein Lehrer Lutz von Werder**) es ausdrückt, Erinnerung induziert. Die Gruppe fungiert dabei wie ein Verstärker und wird gleichzeitig zum haltender Gedeihraum. Instinktiv hatte ich mich schon als Kind diesen Tätigkeiten zugewandt, und in Kombination mit Sport, den ich liebte, Alt-Flöte spielen und Singen sowie Begegnung und Ausdruck im Spiel hatte ich zusammen, was mir nicht nur beim Überleben half, sondern mich schließlich zu meinen beiden Berufungen führen würde: den Sprachen lernen und therapeutisch-heilsamem Schreiben und Gruppenprozesse halten und erleben, sowie der Kontemplation: dem tiefen Eintauchen in Stille und das Feld der Potenzialität.

Solche Felder können überall kreiert bzw. erfühlt werden, wenn wir unsere Sensibilität und Rezeptivität entsprechend durch regelmäßige Übung schulen. Werden wir uns ihrer bewußt, verändert sich unser Atem, unsere Wahrnehmung, unsere Schwingungsfähigkeit. Ganzwerdung vollzieht sich prozesshaft, Tote und Ungeborene werden mühelos imaginiert, Ausgegrenztes willkommen geheißen. Abspaltungen scheinen nach Hause kommen zu wollen. Romane, Lyrik, Essays, Aphorismen, Memoiren, Fachbücher drängen sich auf, Befruchtung geschieht, wir gehen schwanger und sind behilflich beim Verweben der so verschiedenen Fäden des Seins und unseres ureigenen Ausdrucks desselben. Der Glanz des goldenen Fadens leitet uns.

Uns mit allen Wesen vor dem Mysterium verbeugend, danken wir Kanzeon, der Verkörperung des Mitgefühls.***)

*) Hartmut Radebold, *23. April 1935 in Berlin, war ein deutscher Psychiater, Psychoanalytiker und Altersforscher sowie ordentlicher Professor für Klinische Psychologie an der Universität Kassel. Biographische bedingt galt sein besonderes Interesse den gesellschaftlich lange verdrängten Folgen einer Kindheit im Zweiten Weltkrieg.
**)Lutz von Werder, geb. 1939 in Berlin, ist ein deutscher Autor, Moderator, Soziologe, Philosoph und Hochschullehrer für vergleichende Therapieforschung. Außerdem ist er einer der Gründer der Schreibwerkstättenbewegung.
***)Kanzeon ist die japanische Bezeichnung für den Bodhisattva des Mitgefühls, auch bekannt als Avalokitesvara oder Kannon. Der Begriff bedeutet wörtlich “diejenige, die die Schreie der Welt wahrnimmt” und steht für die Verkörperung des Mitgefühls im Buddhismus.