Soeben las ich einen Text, eine persönlich erlebte Geschichte, von Eve Myonen Marko, einer bekannten Zen-Meisterin, die ihren schwer kranken Mann Bernie Tetsugen Glassman vor genau einem halben Jahr verloren hat.
Eve schreibt in ihrem Blog fast regelmäßig einen Text pro Woche. Diese Mitteilungsform ihrer Befindlichkeit, der Reflexionen dazu erfreut sich großer Beliebtheit. Ich schätze vor allem, wie Eve ihre beiden Hunde, Aussie und Harald, zu Protagonisten macht, ihnen eine Stimme gibt, sie interagieren lässt, miteinander und mit den Geschöpfen der Welt: Den Einbeinern wie Bäumen, den Zweibeinern, den anderen Vierbeinern, den Düften des Lebens. Manchmal sind die Hunde, wie es Stanley war, der auch seine irdische Hülle verließ wie Eve‘s Mann, im vergangenen Jahr, die eigentlichen Lehrer. Meistens sogar. Eve hatte Stanley eine menschliche Stimme ins Maul gelegt, mit der er die Mitbewohner des kleinen, abgelegenen Hauses am Waldrand zuweilen scharf konfrontierte, seinen Platz selbstsicher behauptete und seine Rechte unmissverständlich einforderte. Inzwischen sind zwei junge Hunde eingezogen, in dies Haus; Aussie wurde noch mit Bernie zusammen ausgesucht, Harald kam ein paar Monate spöter dazu. Ich kann nachvollziehen, dass Aussie für Eve einen Teil ihres Mannes verkörpert. Wie interessant und intim, denke ich weiter und spüre den Bildern nach, die besonders heute morgen nach verwesenden Blättern, Pilzen und Maigrün duften, während die befreundeten Hunde einem Reh nachjagen und für eine ganze, beunruhigende Weile verschwunden sind.
Hätte man die so jungen Hunde nicht doch lieber an die Leine nehmen sollen? Und wie steht es mit uns? Unseren Leinen, wann legen wir sie ab, wenn wir uns ihrer überhaupt bewusst sind, oder können wir uns ein Leben, das uns leitet, zieht und herausfordert, überhaupt noch vorstellen? Wer oder was hat uns an der Kandarre? Wie domestiziert sind wir? Gereicht uns das zum Guten, wo toben wir uns aus oder lassen wir nur unsere Hunde sich austoben?
Ich bin kein Hundeliebhaber, kann die Freuden jedoch schätzen und erkennen, die damit verbunden sind, einen oder mehrere Hunde sogar zu halten. Im Herzen habe ich, die keine Enkelkinder hat, einen kleinen Jungen adoptiert, oder er mich, der jetzt vier Jahre alt geworden ist. Er heißt Kasimir und verändert sich ständig. Die Familienregeln lerne ich nur langsam kennen. Manchmal wünsche ich ihm einen Familienhund und ein Haus am Waldrand. Sich fast jeden Morgen in die Feuchte eines Waldes begeben können, weiche Fülle unter den Füssen und in die Sprache der Wesen einzutauchen: Wow! Was für ein Unterschied zu meiner Betonumgebung, der nahen Straßenbahn, dem Autolärm.
Den Bogen des Lebens nehmen wir in der Stadt Lebenden gerade an den in rascher Folge aufblühenden und schon wieder vergehenden Blüten der hohen Bäume wahr: Kastanienriesen, einzeln wurzelnd oder in Alleen, stehen einfach da, in ihrer Majestät.
Mein Bogen rundet sich nach unten, der Erde wieder zu, jedenfalls der leibliche.
Welch‘ tiefe Freude, sich an der ungezähmten Lebenskraft angebunden zu wissen! Vergeht sie doch nicht, wenn wir vergehen. Wir treten doch nur beiseite.