Heute erkenne ich, dass nicht nur mein frühes Schwimmen mich einiges gelehrt hat, was ich im Leben gut gebrauchen kann, sondern auch das frühe „Springen“. Mit vier oder fünf bin ich vergnügt vom Dreimeterbrett gesprungen, und dann so oft, dass ich es nicht zählen könnte, selbst wenn ich wollte!

Beim ersten Mal standen meine Eltern unten, beide selber gar nicht so überaus mutig, meine damals noch junge Mutter wäre noch nicht einmal die Leiter hochgekommen vor Höhenangst! Aber ich – ich wollte gesehen werden, war aber nicht so verrückt, dass ich seltsame und gefährliche Dinge tat wie viele Kinder, die unbedingt Aufmerksamkeit haben wollen.

Nein, ich liebte schon früh die Herausforderung, den Nervenkitzel, das Über-mich-Hinausgehen, das Über-mich-Hinauswachsen. Dunkel erinnere ich mich, wie es unten aussah, und ich meine, ich sei kurz danach auch vom Fünfer gesprungen. Der Unterschied war nicht so groß, außer dass es kein Brett gab, auf dem man ins Freie gehen musste, schwebend über dem Sprungbecken, springen – oder eben auch nicht. Ich habe nicht wenige gesehen, die wieder umgekehrt sind. Der Blick in die Tiefe hat es in sich. Und irgendwie ist man sich auch nicht sicher, selbst wenn man gut schwimmen kann – und das konnte ich früh –, ob man wirklich wieder auftaucht. Ob man unten aufknallt, auf dem Boden des Schwimmbeckens. Dass meine Eltern unten standen, war Ansporn, Ermutigung und Halt. Sie traten gar nicht so oft gemeinsam auf bei wichtigen Anlässen, aber dass sie bei Wind und Wetter mit uns Kindern ins Schwimmbad fuhren – gefrühstückt wurde dann dort –, das hat mich nachhaltig geprägt. Es muss ihnen ein Gefühl von Weite und Muße gegeben haben, beide schwammen eigentlich gar nicht so furchtbar gerne, aber sie taten es. Ich wurde dann die Schwimmsüchtige in der Familie, war eine Zeit lang auch im Schwimmverein und nahm an Wettkämpfen teil.

Sprünge geschehen immer ins Ungewisse. Wir müssen uns selber und der Luft irgendwie vertrauen, da wir ja eigentlich keine Sprungwesen sind, außer in unseren Kinderjahren oder wenn wir ein außerordentliches Talent entfaltet haben, der Schwerkraft zu trotzen. Beim Sprung in die Tiefe vertrauen wir uns der Schwerkraft an, springen in sie hinein, geben uns auf, denn Flügel, wie bei unseren Verwandten, den Vögeln, werden sich nie plötzlich ausbreiten und uns zum Fliegen animieren. Für uns Menschen ist ein Sprung etwas potenziell Gefährliches. Daher rührt die Angst vor dem Springen. Das Wasser ist hier gnädig, es federt den Aufprall, der dennoch schmerzhaft sein kann, wenn man das Eintauchen nicht geübt hat, bedeutend ab. Wir spüren den Unterschied der beiden Elemente Luft und Wasser, wir Wesen der Erde.

Gedankensprünge sind ähnlich riskant und liegen dem einen und der anderen nicht. Sie entfernen uns vom bekannten Terrain, und wie werden wir und werden wir überhaupt wieder landen, wenn wir diesem oder jenem Gedanken folgen? Wenn der Atem diesen Gedanken folgt – und dann am Ende gar noch unser Körper? Beim Reisen und beim Umziehen kennen wir alle, wie viel Spaß, Freude, Lust beides bereiten kann, in den unterschiedlichen Phasen eine kleinen oder großen Reise. Wie viel Ungewissheit, Mut zum Risiko, Offenheit, Selbstvertrauen dazugehören, ob wir wollen oder nicht. Wenn wir einer Vision folgen, lassen wir etwas zurück, den festen Boden unter unseren Füßen. Manchmal schubst uns das Leben gehörig in eine bestimmte Richtung, bei Krankheiten oder anderen Lebensübergängen zum Beispiel, eigenen oder derjenigen unserer Liebsten, und wir müssen wieder springen, oft über unseren eigenen Schatten. Mit den Füßen in der Luft, wenigstens für einen Moment. Durch Fortbewegungsmittel wie Pferde, Kutschen, Autos, Züge und Flugzeuge haben wir die Bodenhaftung, das Vertrauen in die eigene Kraft, ein Stück weit verloren oder abgegeben. Hat es uns geschadet?

Meditieren, in Stille sitzen, in Stille gehen, in Stille sein, bei jeder Tätigkeit, vollkommen oder möglichst annähernd verbunden mit Körper und Geist. Eine Einheit bildend. Es kommt mir so vor, als wenn nur so unser Bewusstsein Sprünge wagen kann und wagt, wenn wir so verwurzelt sind ohne irgendein Extra. Mit nur einem Minimum an Komfort, aber einem Maximum an Fürsorglichkeit, Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, Offenheit und Struktur und einem Sinn stiftenden Ritual. Für diesen Sprung brauchen wir, wie beim Springen vom Turm, Neugier, Offenheit, Mut zum Risiko, eine starke Vision. Wir springen in die andere Dimension, die immer bereitsteht, die aber einer Entscheidung bedarf, besser noch: einer gemeinsamen Entscheidung zu springen oder zu fallen, und irgendwie wird beides eins. Himmel und Erde fallen zusammen, in uns, und wir erfahren uns neu. Oder, wie unser Lehrer, der Poet und Zen-Priester Norman Fischer, gestern Nacht sagte, in der Einleitungsmeditation, mögen wir erfahren, wie alles verschwindet und dann auch wir. Was übrig bleibt, ist nur noch Leben pur, ergänze ich im Geiste.