Nicht müde werden
Sondern
Dem Wunder
Leise
Wie einem Vogel
Die Hand hinhalten
~Hilde Domin
Dies wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde, liebe Meditierende und liebe Schreibende, Dichtende. Hilde Domin bedeutet mir viel, und dieses Gedicht begleitet mich schon lange, wie ich es auch anderen immer wieder gerne schenke oder in Gruppen einbringe.Es ist doch so, dass wir das, was die Dichterin beschreibt, gut kennen, oder? Wir hofften, entgegen jeder sogenannten Realität, wir beteten, selbst wenn wir keine Beter waren. Und manche von uns werden wieder zu Hoffenden, Betenden, Meditierenden in dieser Krisenzeit. Poesie, ist das nicht eine Art Gebet, in dem unsere Seele sich auszudrücken versucht?Was mir besonders gefällt an diesem Gedicht, ist seine Einfachheit und Kürze. Dieses eine Bild, das so unter die Haut geht. Und das tief innere Wissen, dass Wunder auf einen vorbereiteten Geist treffen wollen. Dieser vorbereitete Geist – was ist das? Ich ahne es wieder, gerade in dieser Zeit der Einschränkung, der Trauer, der Bangigkeit – es tut uns gut, uns weniger ablenken zu können vom Eigentlichen. Und das Eigentliche ist nicht käuflich. Ihm zu begegnen, erfordert eine bestimmte Art von Wachheit, Empfänglichkeit, Ausdauer, Bereitschaft. Wer kennt das, wer erinnert sich?
Kinder sind immer bereit, neu zu lieben und zu hoffen. Ich glaube, sonst würden sie sterben, was sicherlich auch oft genug und viel zu oft auf unserem Planeten geschieht. Wieder gut zu sein. Sofort nach dem Aufwachen das Wunder des Lebens selbst zu begrüßen.
Wir können also immer etwas tun, sagt mir dieses Gedicht. Penibel darauf achten, nicht müde zu werden, nicht nachzulassen im Hoffen und Erwarten. Zärtlich zu sein, was sich im „Leise“ so gekonnt ausdrückt. „Wie einem Vogel“, sagt sie, die flüchten musste vor den Nazis, wie oft mag sie das getan haben, so vorsichtig dem Wunder entgegenkommend. Man sieht doch den Arm, die geöffnete Hand regelrecht vor sich, spürt die Spannung, die nichts will, nur sanft lockt oder anbietet …
„Dem Wunder“: Hilde Domin spricht so, als habe sie keinen Zweifel an der Existenz und Verfügbarkeit des Wunders. Ich auch nicht. Möge es so bleiben, für mich, für Sie. Besonders jetzt.